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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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Oki ihr erklärt? Daß es zwei Arten von Bergfrauen gab: diejenigen, die lernten, hart zu sein, und Barohnas wurden. Und die, die es nicht lernten – und starben.
    Keva umklammerte den Spieß. Waren das die einzigen Alternativen, die sie hatte? Eine Barohna zu sein und hart zu werden. Oder zu sterben. Konnte sie nicht beide Möglichkeiten verwerfen und einen anderen Weg finden? Oder war sie den Kräften gegenüber hilflos, die sie nicht verstand? Kräfte, die in ihr entstanden waren, die sich jetzt weiterentwickelten bis zu einem unentrinnbaren Ende? Es war sinnlos, sich zu quälen. Sie würde ihren Vater finden, und er würde ihr sagen, was sie wissen mußte.
    Am späten Nachmittag kam sie an Baumgruppen vorüber, an Buschdickichten, und da wußte sie, daß der Wald nahe war. Der Duft von Pollen hing in der Luft, schwer und modrig-süß.
    Endlich sah sie den Wald vor sich, düster und hochaufragend; er erstreckte sich schemenhaft von Horizont zu Horizont. Und sie sah ein graues Feld. Jährlinge; Hunderte von Jährlingen ruhten ausgestreckt im Gras. Als Keva näher kam , schnaubten die Wachen am äußeren Rand leise. Sie suchte sich einen Weg zwischen den schlafenden Tieren hindurch und fühlte die Wärme der dort versammelten Körper. Bald begannen auch ihr die Augenlider zuzufallen. Sie ergab sich der schweren Müdigkeit, die sie den ganzen Tag über begleitet hatte, breitete ihre Decken aus und legte sich nieder.
    Sie schlief traumlos und ließ all das hinter sich, was sie beschäftigte. Als sie erwachte, war es bereits dunkel, und der Jüngling, den sie in der vorigen Nacht gesehen hatte, spukte ihr wieder im Kopf herum. Sie hatte ihn nur kurz im Mondlicht gesehen, aber sie erinnerte sich an seine Gesichtszüge, schmale und hochangesetzte Augen, hervorstehende Backenknochen, schmale Lippen, eine schmale Nase mit geblähten Nasenflügeln. Sie erinnerte sich an das, was er getragen hatte, das weite, staubige Gewand, das an der Taille von glänzenden Schärpen zusammengehalten und die weite Hose. Seine Füße waren nackt gewesen, die Zehen lang, die Nägel schmutzverkrustet. Er hatte sein Haar in einem Knoten hinter einem Ohr getragen.
    Er könnte ein Mann der Wüste gewesen sein. Ganz bestimmte er nicht von den Bergen, nicht von den Warmströmen, nicht aus der Ebene. Und in den Rauhen Ländern und den Seengebieten lebten keine Menschen. Hatte Waana sie nicht davor gewarnt, daß die Männer aus der Wüste während des Rennens in der Nähe des Waldes jagten?
    Aber die Art, wie er sein Haar trug, die Schärpen um Taille – ihr Gewebe war gröber als das des Blauen Liede Das Tuch war rauher, die Farben waren matter. Aber der junge Mann hatte sie so getragen, wie ihr Vater das Blaue Lied getragen hatte, so geknotet, daß sie über einer Hüfte hingen. Zogen sich alle Männer der Wüste so an? Hatte Vater das Blaue Lied in der Wüste gefunden? Hatte er es vor den Clansmännern erhalten?
    Oder war er selbst ein Clansmann gewesen? Keva öffne langsam die Augen und blickte in die Finsternis des Waldes. Danior – er war ihr so ähnlich, sie könnten denselben Vater gehabt haben. Aber er war von den Bergen gekommen. Wie kam es, daß ihr Vater wie ein Wüstenmann gekleidet gewesen war, aber dennoch mit ihrer Mutter, einer Barohna, in den Bergen gelebt hatte? Ihre Mutter war jetzt tot, aber wenn der Platz ihres Vaters in den Bergen gewesen war, weshalb war er von dort fortgegangen?
    Um in die Wüste zurückzukehren? Zu seinen Leuten?
    Sie schüttelte den Kopf und versuchte, ihre Gedanken klären. Versuchte, die wichtigsten Fragen von den unwichtigen zu trennen. Es spielte keine Rolle, woher ihr Vater gekommen war und weshalb er die Berge verlassen hat Wichtig war allein, ihn zu finden. Und da er nicht in den Bergen, der Ebene und am Warmstrom gesehen worden war, mußte sie in die Wüste gehen.
    Es spielte keine Rolle, daß sie nichts über die Menschen der Wüste wußte, außer daß sie zur Zeit des Rennens Rotmähnen jagten. Und daß der junge Mann, den sie getroffen hatte, mager und schmutzig gewesen war. Nach ihren Tagesmärschen war sie auch nicht besonders sauber.
    Die Wüste. Sie mußte zur Wüste wandern.
    Und um sie zu finden, so erkannte sie, mußte sie in den Wald gehen und den jungen Mann finden oder eine andere Person aus der Wüste, die ihr die Richtung weisen konnte. Sie schaute zum Mond empor, der hoch über die Bäume gestiegen war. Die schlafenden Jährlinge um sie herum begannen sich zu rühren. Einer

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