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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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auf; ihre Hände öffneten und schlossen sich ohne Sinn. Sie konnte den Arm nicht heben, um sich aus dem Strick zu winden.
    Schlimmer als die Hilflosigkeit war, daß Galle in ihrer Kehle hochstieg, der Schwindel, so daß sie selbst während ihres Kampfes gegen den Strick das Gefühl hatte, sich an einem zeitlosen Ort zu bewegen, einem Ort, wo die Erde sich auf ihr Geheiß hin öffnete und Steine flogen.
    Nein!
Sie schluckte die Galle hinunter und rang keuchend nach Luft; sie wehrte sich heftig dagegen, die Kontrolle zu verlieren. Sie hörte einen Schwall kehliger Laute, und ein verschwitztes Gesicht mit blitzenden weißen Zähnen ragte über ihr auf. Ein dunkelhäutiger Mann mit schmalen Augen und scharfgeschnittenen Backenknochen zerrte sie auf die Füße, flink schlang er seinen Strick wieder und wieder um sie und fesselte sie so, daß sie sich nicht mehr rühren konnte. Er trug schmutzige Gewänder und weite Hosen, seine Füße waren nackt. Das Haar war stumpf geschnitten und fiel wie eine schwarze Kappe um seinen Kopf. Bevor sie ihn jedoch länger betrachten konnte, schob er sie beiseite, manchmal schlug er ihr auf die Knie, dann in den Magen.
    Stöhnend wälzte sie sich herum und kämpfte darum, sich hinzusetzen. Sie schob sich auf einen Baumstamm zu. Die Schreie der Jährlinge waren fürchterlich. Die Männer – es waren fünf, vielleicht sechs – warfen sie auf die Seite und banden ihre Füße. Sie arbeiteten mit routinierter Geschwindigkeit, als hätten sie diese Arbeit schon häufig als Team verrichtet.
    Als hätten sie schon vorher oft Rotmähnen gejagt. Wüstenmänner – sie hatte ihre Wüstenmänner gefunden ... Der Fund beruhigte Keva nicht. Sie schob sich gegen den Baumstamm und kämpfte darum, wieder auf die Füße zu kommen, aber einer der Männer brachte sie mit einem raschen Stoß zu Fall, setzte ihr seine nackten Zehen in die Rippen und grunzte wütend.
    Keva drängte die Schmerzenstränen zurück und biß sich auf die Lippe, kämpfte erneut gegen den Schwindel, gegen das wirbelnde Gefühl der Zeitlosigkeit an. Und sie fragte sich, weshalb sie das tat. Wenn es jemals eine Gelegenheit gegeben hatte, wo es angebracht war, hart und brutal zu sein ... Sie preßte die Zähne zusammen und stellte sich vor, daß sich die Erde öffnete, Felsen durch die Luft prasselten und auf die schmutzigen Männer in den bauschigen Kleidern schlügen. Sie stellte sich die Schreie, das Blut vor.
    Keva drängte die Bilder zurück. Wenn sie die Männer steinigte, könnte sie sie nicht über ihren Vater ausfragen. Und sie wollte kein Blut sehen, weder ihres noch deren.
Mein Vater ist ein Mann der Wüste,
würde sie sagen, sobald sie von der brutalen Behandlung der Jährlinge abließen.
Ich bin gekommen, um ihn zu finden. Ich bin gekommen, bei ihm zu sein.
Und sie würden sie losbinden und sie mit zu ihm nehmen.
    Sie bezweifelte es, als sie beobachtete, auf welch brutale Art sie die Jährlinge behandelten. Sie schloß die Augen fest und versuchte, dem Grauen zu entfliehen.
    Als sie die Augen wieder öffnete, lagen die sieben Jährlinge gebunden unter den Bäumen. Die Wüstenmänner stießen nach ihnen, prüften die Festigkeit der Muskeln, maßen den Umfang der Bäuche. Keva schauderte. Einer der Jährlinge hob den Kopf und flehte sie mit den Augen an, bettelte um Hilfe.
    Ach, was blieb ihr übrig, als die Erde aufzureißen? Der kräftigste der Männer drehte sich um. Seine Augen verengten sich abwägend, er stand auf und kam auf sie zu. Sie krümmte sich unwillkürlich und war nicht fähig zu sprechen. Er war älter als die anderen. Sein Gesicht trug tiefe Falten, seine Haut war durch Sonne und Wind verwittert. Als er näher kam, erkannte sie, daß in seinen Augen etwas war, was sie nie zuvor gesehen hatte, nicht bei den Warmströmern, nicht in der Ebene und nicht in ihren Alpträumen: ein wütender Hunger, der auf sie gerichtet war.
    Keva versteifte sich; sie weigerte sich, in ihm dieselbe Art Mann zu sehen, wie es ihr Vater war. Er trug keine Schärpe, sein Umhang wurde in der Taille von einem Strick zusammengehalten. Er trug seine Haare nicht geknotet. Die dunkle Färbung seiner Haut war durch Jahre im Freien bei rauh Witterung entstanden und nicht durch natürliche Pigmentierung.
    Seine Hände waren schwielig und dick. Er streckte sie wie Waffen aus, deren Gebrauch ihm Vergnügen machen würde. Nein, stellte sie verzweifel fest, wenn ihr Vater ein Wüstenmann war, so war er nicht von dieser Sorte.
    Keva starrte auf

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