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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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die rauhe Hand des Mannes und befeuchtete die Lippen. Sie hatte schon von Männern gehört, die Zwang anwendeten. Nicht den spielerischen Zwang ein Liebenden, sondern einen wütenden Zwang, einen, der Menschenwürde der Frau nicht gelten ließ, sondern sich gegen sie richtete. Wenn ein Mann bei den Warmströmern sie derart erniedrigte, schickte man ihn fort, auf daß er in Einsamkeit lebte und stürbe. Keva befeuchtete ihre trocken Lippen und begriff, wie solch ein Mann sein Opfer anschauen mußte. Sie preßte sich gegen den Baum und versuchte, sich klein zu machen.
    Aber wo stand geschrieben, daß sie nur die Wahl hatte, ihn zu steinigen oder sich ihm auszuliefern? Oder daß sie ihm ihren Geist ebenso wie ihren Körper überlassen mußte wenn sie ihm ausgeliefert war? Kevas Kiefer wurden starr. Sie kämpfte sich stöhnend auf die Füße. Ihr Knie verkrampfte sich vor Schmerz, aber sie hielt den Schrei, der sich ihr auf die Lippen drängte, zurück. Sie hob den Kopf und begegnete den Augen des Wüstenmannes mit einem direkten Befehl. Sie würde ihn nicht steinigen – nicht, solange sie die Kontrolle hatte. Aber er würde in ihre Augen schauen und erkennen, daß sie es könnte. Er würde schauen und erkennen, was in ihr schlummerte.
    Sieh es,
drängte sie ihn.
    Er trat noch einen Schritt vorwärts und hielt plötzlich inne. Sein stählerner Blick begann zu flackern. Dann fiel sein Blick auf den Stein an ihrem Hals, und seine Pupillen verengten sich rasch; sie schrumpften zu harten, schwarzen Punkten zusammen. Er stieß ein grobes Wort aus, nicht an die Adresse seiner Gefährten, sondern zu sich selbst.
    Prüfe mich!
Aber er starrte so gebannt auf den Stein, auf den blauen Stoffstreifen, daß er die Herausforderung in ihren Augen gar nicht wahrnahm. Keva runzelte verwirrt die Stirn und preßte sich stärker gegen den Baum.
    Der Wüstenmann grunzte, dann streckte er eine knorrige Hand aus und griff hastig nach dem Stein.
    Es war nicht nur der Stein, der ihn anzog, wie Keva augenblicklich erkannte. Es war der Stoff. Der Wüstenmann rieb das glatte Tuch zwischen Daumen und Zeigefinger, und sein Gesicht wurde grau. Dann hielt er sich den Stein vors Auge und spähte hindurch. Seine Kiefer arbeiteten. Er blickte zu ihr zurück, das Verlangen verschwand aus seinen Augen und ließ erkennen, was dahinter war; weder Grausamkeit noch Wut, sondern Furcht. Er holte tief Luft und zog die Hand zurück, als könne er sich loskaufen, indem er sie verblüffte.
    Keva fand ihre Stimme wieder. »Prüfe mich!« zischte sie herausfordernd.
    Er nahm die Herausforderung nicht an. Seine Hand hob sich und fiel dann wieder an seine Seite zurück. Er kämpfte darum, aus ihrem Blick auszubrechen, und entfernte sich ruckweise von ihr; plötzlich glänzte Schweiß auf seinem Gesicht.
    Keva unterdrückte ihre gehobene Stimmung und stieß sich vom Baum ab, schaute an dem Mann vorbei auf die anderen.
    Sie hatten in ihren Tätigkeiten innegehalten, um der Konfrontation zuzuschauen. Der erste Mann stolperte zu ihnen hinüber, der blaue Stoffstreifen in seiner Hand zitterte. Er stieß kehlige Laute aus. Die anderen prüften Stein und Stoff und schauten mit wachsender Vorsicht auf Keva. Sie begannen, sich rasch untereinander zu verständigen, hielten sich dicht zusammengedrängt, als wäre das ein Schutz.
    Vor ihr. Sie fürchteten sich vor ihr. Sie war gebunden und hilflos, und sie fürchteten sich so sehr vor ihr, daß sie es riechen konnte. Sie betasteten den Stoff. Sie befingerten den Stein. Sie murmelten, grunzten und zogen sich rückwärts in den Wald zurück.
    Wofür hielten sie sie? Für eine Barohna? Fürchteten sie die Barohnas so wie Oki? Sie stieß langsam die Luft aus und fragte sich, wieviel sie mit der Angst der Männer anfangen könnte, wenn es ihr gelänge, ihre eigene zu verbergen. »Eure Stricke tun mir weh«, sagte sie mit fester und klarer Stimme. »Bindet mich los.«
    Jedes Wort erhöhte die Angst der Männer. Verschärfte sie.
    »Laßt mich frei«, sagte sie und legte ihre Überlegenheit in ihre Stimme. »Und laßt meine Tiere ziehen. Ich dulde nicht, daß sie gestohlen werden.«
    Als sie nicht reagierten, nur näher zusammenrückten, tat sie einen Schritt nach vorn, vorsichtig darauf bedacht, sich nicht durch Humpeln zu verraten. »Bindet mich los!«
    Mit einem Grunzen holte einer der Männer ein langes Messer hervor. Die Klinge war stumpf. Die anderen Männer zischten warnend, ihre Gesichter wurden aschfahl. Einer er-; griff seinen

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