Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
bereitete ihm sichtbar Schmerzen. Aus seiner Nase lief ein Blutfaden. In der Hand hielt er eine Haarsträhne aus der Mähne des Geschöpfes. Keva beugte sich über ihn und half ihm, sich aufzusetzen.
»Mein Messer ...«, würgte er hervor, als er wieder in der Lage war, Luft zu holen.
»Da drüben. Du hast es fallen lassen.«
Danior folgte Kevas Blick und holte das Messer, ohne lange nachzudenken. Er legte es in die Hand des Jungen und erkannte an dessen plötzlich erstarrten Gesichtszügen, daß seine Aufmerksamkeit so stark auf die Weißmähne konzentriert gewesen war, daß er Danior bis jetzt noch nicht bemerkt hatte.
Er kämpfte sich auf die Füße, seine Halssehnen traten hervor, die Finger waren um den Messergriff geklammert.
Er stieß eine Frage in einer Sprache hervor, die Danior nicht verstand.
Bevor Danior sich Gedanken machen konnte, wie er antworten sollte, griff Keva nach seinem Arm. »Rezni, das ist mein Verwandter, Danior – Danior Terlath. Danior, das ist Rezni, der Nathri-Varnitz – Kühner Soldat des Viir-Nega.«
Daniors Blick irrte zu dem Messer des Jungen, dann auf sein starres Gesicht. Wie konnte Keva so ruhig sprechen, wo der Junge im Begriff war, sich auf ihn zu stürzen? Wie konnte sie mit einer derartigen Förmlichkeit gestikulieren, als hätte sie einen Freund mit einem anderen bekanntgemacht? Als er zögerte, schlossen sich Kevas Finger fester um seinen Arm. Und jetzt erkannte er schlagartig, was sie ihm mit dem Druck zu verstehen geben wollte. Daß er sich ihrer Führung überlassen sollte. Daß er den Jungen nicht erkennen lassen durfte, wie erschrocken und verwirrt er war. Daß er so gelassen auf die Vorstellung antworten mußte, als hielte der Junge kein erhobenes Messer.
Danior zwang sich dazu, den traditionellen Gruß Fremden gegenüber zu entbieten. »Mein Tal erwärmt sich bei deiner Ankunft, Rezni. Ich hoffe, du hast das deine fruchtbar zurückgelassen.«
Die Augen des Jungen wurden schmal, doch die verkrampften Kiefermuskeln entspannten sich leicht. »Du bist ein Verwandter der Flamme? In welchem Verwandtschaftsgrad?«
Der Flamme? Bevor Danior Zweifel zeigen konnte, drückte Keva sein Handgelenk. »Der Nathri-Varnitz nimmt mich zu unserem Verwandten mit, dem Viir-Nega; Retter des Größeren Clans. Er hat mich durch sein Angebot geehrt, mich zu heiraten und mir einen Platz an seinem Rücken während des nächsten Clan-Rufes zu geben. Unter diesen Umständen kannst du ihm deinen Verwandtschaftsgrad mitteilen.«
Heirat? Danior blickte überrascht auf Keva. Gewiß hatte sie sich nicht damit einverstanden erklärt, einen Mann der Wüste zu heiraten. Nicht in der kurzen Zeit, in der sie getrennt gewesen waren. »Du hast nicht ...«
»Wie konnte ich es annehmen, da ich bereits dem Thron vom Tal Marlath verpflichtet bin?«
»Die Flamme von Marlath kann auch in meinem
han-tai
brennen, trotz all ihrer Bürden«, warf Rezni wütend ein. »Es gibt noch mehr Orte als nur die Berge für eine Frau, di Steine zum Leben erwecken kann.«
Also hatte sie nicht eingewilligt. Aber etwas im Zucken ihrer Augen, als sie seinen überraschten Blick sah, etwas in dem beständigen Druck ihrer Finger auf seinem Handgelenken sagte Danior, daß er vorsichtig sprechen mußte. Sagte ihm, daß sie beim Umgang mit dem Jungen einer wohlüberlegte Strategie folgte. Danior befeuchtete seine trockenen Lippen.
»Natürlich gibt es die«, stimmte er zu. Versuchte sie nur, den Jungen mit ihrer Bedeutung zu verwirren? Nannte sie sich deshalb die Flamme von Marlath; und weshalb beanspruchte sie den Thron ihrer Mutter?
Er wählte seine Worte mit Sorgfalt und hoffte, ihre Ansichten richtig erraten zu haben. »Aber die Flamme – di Flamme trägt schwere Last. Sie trägt die volle Verantwortung für alle Menschen ihres Tales. Für das Gedeihen der Saaten, für alles, was sie zu ihrer Ernährung benötigen. Ich weiß das, weil ich – weil ich ihr Rauth-Bruder bin.«
Der Junge runzelte argwöhnisch die Stirn, während er von einem zum anderen schaute. Dann sagte er förmlich: » ist diese Art der Verwandtschaft nicht bekannt.«
»Es bedeutet, daß unsere Väter einmal derselbe Mann wesen sind«, sagte Danior aus dem Stegreif. »Obgleich sie natürlich nicht mehr sind.«
Der Junge starrte ihn an. »Natürlich«, murmelte er, als hätte er das Gesagte verstanden. Aber es ärgerte ihn sichtlich, daß er es nicht verstand. Sein Ton wurde schärfer, feindlicher. Die Augen wurden schmaler. »Du hast mein
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