Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
sie sich als solche benutzen lassen würde. Sie schüttelte den Kopf und löste sich aus seinem Griff.
Die Clansmänner regten sich, als sie ihre Verwirrung sahen. Der größte von ihnen stieß eine Reihe haßerfüllter Silben aus und griff der Rotmähne, die ihm am nächsten stand, in die Mähne. Er riß den Kopf des Tieres in einer raschen Bewegung nach hinten und stieß ihr sein Messer in den Hals.
Sofort zogen sich auch die anderen Clansmänner zurück und stürzten sich mit erhobenen Messern auf die Rotmähnen. Kevas Herz zog sich vor Entsetzen zusammen. Sie starrte auf das Geschehen, unfähig, sich zu bewegen, es zu begreifen.
»Jetzt –
oder sie töten alle«, zischte Rezni. »Sie werden nur noch die Kadaver übriglassen. «
»Sie ...« Keva konnte das, was sie sah, was sie hörte, nicht glauben. Es geschah zu schnell und überwältigte sie. Die Schreie der Jährlinge, die besudelten Klingen, das Blut ... es sprühte wie eine hochrote Gischt, und plötzlich fühlte sich ihr Brustkorb schwer an, als würde sie ersticken. Als ob sich ihre Lungen mit dem Blut der Jährlinge füllten.
Nein, nicht mit Blut. Ein Stoff, der tief in ihren eigenen 'Zellen arbeitete, füllte ihre Lungen und verdrängte den Sauerstoff. Ein Wirkstoff, der sie schwindelig machte und mit starren Fingern nach ihren Schläfen greifen ließ. Sie versuchte, es zu unterdrücken, aber ein unbestimmtes Gefühl von Zeitlosigkeit überkam sie, und sie vermochte nicht einmal mehr die Hände zu heben, um die verkrümmten Finger gegen ihre pulsierenden Schläfen zu pressen.
Zeit.
Sie war zu einem greifbaren Strom geworden. Er belebte sie, trug sie über die Gegenwart und ihre Gebote hinaus, über alles, was sie verstand. Sie kämpfte hilflos gegen ihre Strömung an, gegen die Strudel und den Sog, gegen den Wirbel, von dem sie wußte, daß er vor ihr lag. Aber der Kampf war sinnlos. Sie fühlte bereits, wie ein schwarzer Rachen sie einsog. Sie vernahm bereits das knirschende Geräusch von Sand, der in die Luft gewirbelt wurde. Hunderte scharfer Sandkörner – Tausende, unzählige Millionen – erhoben sich brausend. Bevor sie sie zurückrufen konnte, formten sie sich zu einem wirbelnden Trichter, der seine mahlenden Arme nach den Clansmännern ausstreckte. Sie hüllten die Männer ein, dämpften ihre Schreie, verbargen die um sich schlagenden Glieder. Er wuchs an, wurde so dicht, daß die Luft massiv erschien. Massiv und zugleich beweglich. Zermahlend.
Endlich fanden Kevas Finger die Schläfen. Sie drückte sie und versuchte, die Kontrolle wiederzuerlangen. Wenn sie diejenige war, die den Sand in der Luft hielt ...
Sie wußte, daß sie es war. Weil sich der Wirbel langsamer drehte, als sie auf die Schläfen drückte und nach Luft rang, als sie Sauerstoff in die Lungen saugte. Sandkörnchen lösten sich aus dem Wirbel und fielen zu Boden. Sie sog weiter keuchend und flach die Luft ein, und aus der Luft regnete es Sand. Er fiel solange, bis der Wirbel zu einem zerbrechlichen Ding geworden war, einem wirbelnden dunkelroten Muster, einem Schleier.
Und das, was der Schleier verbarg – nein, er verbarg sie; nicht. Er wurde fortgerissen und enthüllte sie. Groteske Dinge, die einst Menschen gewesen waren, jetzt nur noch eine Masse rohen Fleisches. Keva starrte ungläubig auf sie, während der letzte blutbefleckte Sand herabfiel.
Die Jährlinge waren auf die Knie gefallen und hatten sich , instinktiv gegen den mahlenden Sand aneinandergedrängt. Ihr dickes Fell war abgeschliffen, die kastanienbraunen Mähnen zerfetzt, die Ohren zu blutigen Stümpfen abgeschmirgelt worden. Sie zitterten stark, doch sie lebten; diejenigen, die die Clansmänner nicht getötet hatten, bevor der Sand aufwirbelte.
Die Clansmänner waren tot, Haut und Muskeln hatte der Sandwirbel gegessen.
Keva starrte sie an. Das war ihr Werk. Sie hatte den Sand gerufen. Sie hatte ihn wirbeln lassen. Sie griff nach ihrer Kehle und versuchte, die Übelkeit zurückzudrängen.
»Ich – ich verstehe es nicht«, sagte sie, als sie wieder in der Lage war, zu sprechen. »Ich verstehe nicht, weshalb –wese halb sie die Jährlinge getötet haben.« Das allein konnte sie von allem, was sie nicht verstand, in Worte fassen. Nur das.
Rezni griff nach ihrem Unterarm, seine Finger waren wie Klauen. Seine dunklen Augen blickten starr auf sie, als hätte das Gemetzel auch ihn betäubt.
»Hast du geglaubt, sie würden sie für uns übriglassen. Das ist bei den Clans der Brauch – sie zerstören
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