Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
Büsche machten sich breit.
»Wir werden hier schlafen«, sagte Rezni. »Unter den Sträuchern, wo keiner von diesen Stolperern über uns fallen wird.«
Danior blickte sich zweifelnd um, etwas von seiner früheren Vorsicht machte sich wieder bemerkbar. »Wenn die Männer der Kleinen Clans uns finden ...«
»Dann werden sie uns wegen der Dinge, die wir tragen, die Kehle durchschneiden. So ist es Brauch unter den Männern der Kleinen Clans.«
»Und unter den Männern des Größeren Clans?« erkundigte sich Danior sanft.
»Viir-Negas Ehr-Gesetze lehren, daß Stehlen unehrenhaft ist. So werde ich, sollten wir über Clansmänner stolpern, die sich hier verstecken, ihre Kehlen durchschneiden; aber nur, um zu verhindern, daß sie unsere aufschlitzen – und ihren Besitz werde ich nicht anrühren. Hier – laßt euch nicht von den Dornen kratzen. Zu dieser Jahreszeit sind sie giftig:
Danior wurde blaß bei dem Widerspruch zwischen Rezni unerwarteter Gefühllosigkeit und der Sorge um ihr Wohl gehen. Keva schlüpfte unter die Büsche und erahnte Daniors Zweifel, als sie sich auf dem weichen Boden niederließ. Sie teilte seine Vorbehalte. Aber wenn sie nicht mit Rezni weiterwanderte, würde sie niemals erfahren, ob der Mann, der sich Viir-Nega nannte, ihr Vater war.
Weil ihre Muskeln bereits vor Müdigkeit schmerzte hatte sie erwartet, daß sie sofort einschlafen würde. Statt dessen machte sie sich Gedanken und fragte sich, was sie vorfinden würden, wenn sie Pan-Vi erreichten, die Wüstensiedlung des Größeren Clans. Sie streckte ihre steifen Glieder aus und grübelte über all das nach, was ihr Rezni berichtet hatte, über sich selbst, den Viir-Nega, über seine eigen Familie. Sie fragte sich, bis zu welchem Grad sie ihm trauen konnte. Er war überheblich, argwöhnisch, gefühllos; aber er hatte sie befreit, hatte ihre abgestorbenen Glieder warmgerieben, ihr zu essen gegeben und die Weißmähne geritten.
Und er brachte sie zum Viir-Nega. Sie wechselte ihre Stellung und spähte durch die Schatten in der Hoffnung, Reznis Gesicht im Schlaf entspannt zu sehen. Statt dessen wachte
er über sie, wie über einen Schatz, von dem er fürchtete, er könnte ihm gestohlen werden; seine Augen blitzten wachsam. Keva seufzte und wandte sich ab.
Am nächsten Tag überquerten sie die Rauhen Länder zwischen dem Wald und der Wüste; sie gingen leise und achteten auf Anzeichen für die Gegenwart von Männern der Kleinen Clans. Kevas Knie schmerzte nicht mehr so stark wie am Tag zuvor; sie hatte die schmutzigen Verbände weggeworfen, und es war nur noch leicht geschwollen. Gelegentlich entdeckten sie Losung von Rotmähnen im dornigen Unterholz. Einmal stießen sie auf einen toten Jährling. Danior ließ sich neben ihm nieder, konnte aber nicht feststellen, was die Ursache seines Todes gewesen war.
»Jedes Jahr fangen die Männer der Kleinen Clans Tiere ein, und jedes Jahr sterben sie«, bemerkte Rezni. »Sie essen zuviel Hammelfleisch. Das macht ihren Verstand so klein wie ihre Clans.«
Noch später fanden sie im Gebüsch ausgestreckt drei Clansmänner liegen, sie blickten finster, mit grimmigen toten Gesichtern in die Nachmittagssonne. Ihre Kehlen hatte man aufgeschlitzt und ihnen alles ausgezogen, bis auf die weiten Hosen. Rezni trat gegen die starren Beine und suchte den Boden nach Spuren ab. »Diebe bestehlen Diebe«, bemerkte er und ging weiter.
Keva traf Daniors Blick und sah, daß auch er Abscheu empfand.
Doch auf eine andere Art weckte die Reise in Danior etwas, das Keva vorher noch nicht bemerkt hatte. Nachdem der Wald hinter ihnen lag, ließ er sich von Rezni genauestens über die Vegetation und die Formation des Landes berichten, über das jagbare Wild und die Wasserquellen. Er erreichte, daß Rezni ihm den Bau der kleinen Saatensammlung zeigte; und er bestand darauf, daß Rezni ihn auf Spuren auf dem rauhen Boden aufmerksam machte. Als er erfuhr, da Rezni im Kampf mit dem Spieß geübt war, schnitt sich Danior einen Ast vom Baum und kämpfte mit ihm.
Rezni war nicht darin geübt, Pardon zu zeigen, und so ging Danior aus der Begegnung mit Quetschungen und einer blutenden Beule an der Stirn hervor. Aber in einer Weise, die Keva nicht begriff, begründete diese Episode ein Kameradschaft zwischen ihnen, die sie ausschloß. Sie wanderte danach oft allein und lauschte ihrer Unterhaltung, aber ohne ihr große Aufmerksamkeit zu schenken. Sie hatte ihr eigenen Gedanken, die sie in Anspruch nahmen; und die beiden schienen viel
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