Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
Vom Netzwerk:
Blättern zu knabbern, und wurde in die Nase gestochen. Er schrie wütend; Keva und Danior hielten ihn fest an dem, was von seiner Mähne übriggeblieben war, um ihn daran zu hindern, daß er blindlings durch die giftigen Sträucher stolperte.
    Dann tauchten sie aus dem Labyrinth auf, und Mondlicht lag auf Hunderten von Glasscheiben. Keva atmete tief ein und spürte, daß Rezni ihren Arm drückte. Als sie aufsah, stellte sie fest, daß er lächelte; es war nicht herausfordernd oder überheblich, sondern ein Lächeln reiner Freude.
    »Es ist schön«, sagte sie zu ihm, überrascht, daß sie auch so empfand. Gebäude in jeder vorstellbaren Form und Größe, gebaut aus dicken Glasscheiben, waren auf dem öden Boden versammelt. In ihrem Innern flackerten kleine Lampen. Vorhänge aus üppigem Laubwerk schmückten die Scheiben. Selbst beim ersten Mondlicht konnte Keva erkennen, daß einige Scheiben klar und andere gefärbt waren. »Schön«, wiederholte sie.
    »Jetzt siehst du, weshalb ich so stolz bin«, sagte Rezni. »Komm – der Viir-Nega wird in seinem Zelt sein.«
    »Ich ...« Jäh überfiel sie eine bisher nicht gespürte Vorahnung, die ihr Herz umdrehte und sie nach Luft ringen ließ. Sie bewirkte, daß sie sich vor dem fürchtete, was vor ihr lag. Sie starrte stumm auf Rezni und versuchte einen Vorwand zu finden, ihn zurückzuhalten, die Konfrontation mit dem Viir-Nega hinauszuschieben.
    Doch Rezni ergriff ihren Arm und zog sie hastig mit sich fort. Sie eilten Wege aus gestampftem Erdboden hinunter und die Jährlinge schnaubten aufgeregt, als sie den feucht Geruch wahrnahmen. Wachsame Gestalten traten aus leuchteten Gebäuden und zogen sich wieder dorthin zurück, als Rezni sich zu erkennen gab.
    Sie war schmutzig, erkannte Keva zu spät, während sie dahinstolperte. Ihre Kleider waren mit einer Schmutzschicht überzogen. Seit dem Morgen hatte sie ihr Haar nicht mehr gekämmmt. Sie waren im Begriff, den Viir-Nega zu treffen. Keva fuhr sich rasch mit den Fingern durchs Haar, wisch sich übers Gesicht und versuchte, ihre Kleider in Ordnung zu bringen. Sie stellte fest, daß Danior ähnliche hastige Säuberungsversuche machte. Sie befürchtete, daß ihre Mühe genauso vergeblich waren wie seine.
    »Hier«, sagte Rezni, als sie vor einem rechteckigen
han-tau
standen, dessen Scheiben so dick waren, daß sie die Sich ins Innere nicht zuließen. Er zog an einem Seil, und irgendwo drinnen erklangen Glasscheibchen.
    »Der Nathri-Varnitz ist angekommen«, rief er in die offen Türöffnung. »Er bringt Verwandte des Viir-Nega.«
    Hinter den Glasscheiben bewegten sich Schatten. Füße scharrten, und ein Kind erschien. Große, dunkle Augen. Gewölbte Augenbrauen. Glattes, dunkles Haar. Es stand wie ein Gespenst in der Türöffnung und starrte auf Danior und Keva, dann drehte es sich um und verschwand ohne ein'' Wort.
    Als nächstes erschien eine Frau und musterte sie aus schrägen Augen.
    »Ich bringe Verwandte des Viir-Nega«, sagte Rezni und wiederholte die Begrüßung in seiner eigenen Sprache.
    Sollte die Frau irgendwie überrascht gewesen sein, so zeigte sie es nicht. Sie nickte nur knapp und bat sie herein.
    Keva hatte keine Zeit, um sich umzusehen, als sie die hängenden Girlanden einer Innentür beiseite schoben und einen Raum betraten, in dem die Luft mit Feuchtigkeit geschwängert war. Denn als sie eintrat, kam ein Mann aus einem anderen Zimmer herein, und Keva konnte nur noch auf Ihn starren.
    Der gefurchte Boden, der erdene Geruch wachsender Pflanzen, das gedämpfte Licht der Laterne – sie nahm nichts davon wahr. Sie hörte auch nicht, was Rezni sagte. Sie registrierte nicht einmal den Tonfall. Sie sah nur ihren Vater, der ebenso verblüfft war wie sie und sie aus Augen anschaute, im die sie sich erinnerte. Dunkle Augen, suchende Augen. Poch diesmal suchte er nicht die Ferne, sondern ihr Gesicht, als wäre es eine Landschaft, von der er angenommen hatte, er würde sie niemals wiedersehen. Langsam, zweifelnd, hob er eine Hand; die Nägel waren wie die ihren, rosafarben gegen die braune Haut, und berührte ihre Wange. Das Blaue Lied war um seine Taille geknotet. Der Stoff so glatt und die Farben so leuchtend, wie es ihrer Erinnerung entsprach. Ihr Vater roch sogar wie in ihrer Erinnerung.
    Das einzige, was sich an ihm verändert hatte, waren die tiefen Linien unter seinen Augen, als hätte er zu lange in die Ferne geschaut, so daß sich die Wachsamkeit selbst in sein Fleisch gegraben hatte. Und er trug ein

Weitere Kostenlose Bücher