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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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lieber ihren Besitz, als ihn in die Hände ihrer Feinde fallen zu lassen.«
    Keva schluckte ihren aufkommenden Brechreiz hinab. Besitz? Die Jährlinge wurden als Besitz betrachtet, nicht als lebende Wesen, fähig der Fürsorge und des Miteinander-Teilens? »Und die – Clansmänner waren Feinde?« Oder war ihre Reaktion, das rasche Dahinschlachten der Rotmähnen, nur ein Reflex gewesen, ein Ausbruch unbesonnener Feindseligkeit, bedingt durch die Härte der Wüste?
    »Alle Kleinen Clans sind unsere Feinde. Sie fürchten uns, weil wir unsere Bräuche geändert haben. Doch diese hier –die Gothnis – sind meine speziellen Feinde. Sie kamen vor zwei Jahreszeiten nach Pan-Vi, als wir weggegangen waren, um Feuerkohle zu holen, und zerbrachen die Scheiben vom
han-tau
meines Vaters. Sie ließen die trockene Luft eindringen, um den Garten zu töten. Und sie nahmen eine Verwandte mit sich.« Er brachte ein bitteres, befriedigtes Lächeln zuwege. »Sie ist jetzt Witwe.«
    »Sie – in welchem Verwandtschaftsverhältnis steht ihr?«
    Er blickte kurz argwöhnisch auf sie, dann zuckte er mit den Schultern. »Sie ist meine Schwester. Der Große, Parni, der erste, der sein Messer hinabgestoßen hatte – er war derjenige, der sie entführte. Aber er wird jetzt niemals mehr ein Kind von ihr haben. Kein Kind, das wie ein Gothni aufwächst. Parni, Ned, Tarlin – kein Bruder aus Parnis Zelt ist übriggeblieben. Bevor zehn Tage um sind, wird Tethika in den
han-tau
meines Vaters zurückgekehrt sein.«
    Keva schüttelte den Kopf, sie konnte nichts begreifen. Eine gestohlene Schwester, die toten Jährlinge, die blutigen Überreste, die einst lebendige Clansmänner gewesen waren; plötzlich fröstelte sie. Ihre Zähne begannen aufeinanderzuschlagen. Sie schlang die Arme um den Körper und stolperte weg, um sich zu erbrechen.
    Als Keva wieder sprechen konnte, kamen sie überein, daß sie die sieben Jährlinge nicht im Stich lassen konnten, um sie ihren Weg zum Wald suchen zu lassen. Es würden noch andere Männer der Kleinen Clans in der Wüste umherstreifen. Und die Jährlinge waren zu desorientiert, um den Weg allein zu finden.
    »Ich habe viel Grünzeug für sie in meinem
han-tau«,
willigte Rezni endlich ein. »Und unser Brunnen hat auch für sie genug Wasser. Zum Ausgleich werden wir ein paar schlachten. Bestimmt haben wir zum Clan-Ruf für Hammel Bedarf. Nach dem Clan-Ruf können wir dann Rotmähnen zum Wald zurückbringen.«
    Keva willigte betäubt ein, und sie setzten ihre Reise fort. Sie sah, daß Danior schweigsam und bleich war. Währ sie wanderten, schaute er besorgt nach hinten, als erwartete er, einen Sandwirbel zu sehen, der sich von seinen Fußstapfen erhob. Die Rotmähnen stolperten vorwärts, der sandige Boden reizte ihre schwieligen Hufe. Selbst Reznis Stimmung war gedämpft, seine Kiefermuskeln verkrampften sich in einer Anspannung, die er zu verbergen versuchte. Keva ihm dankbar, daß er nicht redete, nicht mit ihrem vernichtenden Schlag gegen die Gothnis angab; mit der Rolle, die er dabei gespielt hatte.
    Statt dessen beobachtete er sie besorgt und paßte sich ihrem Tempo an, gelegentlich bestand er darauf, daß sie eine Rast einlegten. »Die harten Landschaften machen die Menschen hart«, meinte er entschuldigend, als er zum dritten einen Halt ausrief. »Du wirst mit der Zeit auch noch lernen, hart zu sein, Keva.«
    Hart.
Dasselbe Wort hatte auch Oki benutzt. »Nein«, sagte sie tonlos. Sie würde niemals hart werden. Nicht, wenn Härte hieß, nicht nach dem Leid zu fragen, das man verursachte; nicht, wenn es bedeutete, die Angst vor dem, was man als nächstes tun würde, hinunterzuschlucken. Das hatte sie heute gelernt.
    »Aber du wirst es. Du hast die Fähigkeit dazu. Du bist eine Barohna aus den Bergen.«
    Sie begriff, daß er versuchte, sie zu beruhigen – ja, sie zu trösten. Statt dessen unterstrichen seine Worte nur ihre finstere Stimmung. »Nein«, sagte sie und weigerte sich, noch länger darüber zu diskutieren.
    Am Nachmittag verloren sie einen Jährling. Er legte sich hin und weigerte sich weiterzugehen. Nach einer Weile begann er zu zittern, sein Körper wurde steif, und er starb. Rezni und Danior schoben mit den Füßen Sand über seinen Kadaver, obwohl sie die Körper der Clansmänner offen hatten liegen lassen. »Die Männer der Kleinen Clans sollen sehen, was aus den Gothnis geworden ist«, hatte Rezni erklärt. »Die Zollidar – die Männer, die deinen Stein an sich genommen haben – geben schon

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