Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
glänzendes Steinarmband. Keva hatte es vorher noch nicht gesehen.
»Dann hat die Frau mich belogen«, sagte er schließlich; die Worte klangen zugleich froh und wütend.
Keva lachte. Was sie aus seiner Stimme heraushörte, war dem, was sie fühlte, sehr ähnlich. Wut darüber, daß man sie getrennt hatte, und Erleichterung, daß er lebte, daß sie ihn gefunden hatte.
»Ja.
Sie sagte dir, ich wäre tot, aber das stimmte nicht«, sagte sie, ihre Zunge begann wieder zu arbeiten – zu schnell; die Worte strömten wirr heraus. »Sie –sie wollte nur ein Kind. Ihr Gefährte war ertrunken, und keine der anderen Frauen wollte, daß einer ihrer Gefährten das Lager mit ihr teilte. Keine von den Frauen aus der Siedlung. So nahm sie mich mit zu einem anderen Dorf, drei Tage flußabwärts. Sie ...« Tränen brannten in ihren Augen. »Sie ließ dich nach mir suchen. Nach meinem Grab. Sie ...«
Er legte ihr sanft den Finger auf die Lippen und dämmte die Flut ein. »Warte. Wir brauchen uns nicht alles auf einmal zu sagen. Einiges davon werden wir nie erzählen brauchen.
Ich kann dein Gesicht so klar lesen, wie ich es schon immer konnte. Und die Frau – hieß sie Oki? – muß dir schließlich die Wahrheit erzählt haben. Oder du wärest nicht hierher gekommen. Mit meinem kühnen Soldaten.«
Keva schaute zu Rezni und mußte beinahe über den glühenden Stolz in seinen Augen lachen. »Sie hat es mir gesagt. Ich habe sie dazu gebracht. Hätte ich es nicht getan, hätte ich es nie erfahren. Aber ...«
»Aber du hast es erfahren, und auf diese Weise ist es ebensogut«, sagte ihr Vater, zog sie an seine Brust und streichelte über ihr Haar. »Es ist ebensogut, Keva Marlath, denn ich bin in unwirtliche Gegenden gekommen, nachdem ich den Warmstrom verlassen hatte. Ich bin durch rauhe Landschaften geritten, wo ein Kind nicht überlebt hätte. Ich bin Männern begegnet, die dich ausgelöscht hätten, bevor ich auch nur gewußt hätte, was sie planten. Sie kamen mir nah genug, um mich auszulöschen; bevor ich endlich erkannte, daß ich mit dem Reiten aufhören und statt dessen mit dem Aufbau beginnen müßte.«
Er hielt sie erneut eine Armlänge von sich weg. »Kannst du dir vorstellen, wie oft ich mir schon gewünscht habe, ich hätte diese Lektion gelernt, bevor ich dich verlor? Bevor ich mich mit dir durch die Winterstürme kämpfte und du dadurch krank wurdest, obwohl wir in den Tälern, der Ebene, einer Reihe anderer Orte hätten Schutz bekommen können? Aber jetzt habe ich dich ja gar nicht verloren!«
Sie lachte unmotiviert, ohne etwas dagegen unternehmen zu können, und spürte Tränen aus ihren Augen fließen. Sie wischte sie unwirsch weg. Sie war gekommen. Sie hatte ihren Vater gefunden, und er war genauso froh darüber wie sie. Jetzt war nicht der Augenblick zu weinen.
Ihr Vater schien über ihren Gefühlsausbruch nicht erstaunt zu sein. Er hielt sie fest, bis sie auch die letzte Träne fortgewischt und das schwache Lachen unter Kontrolle gebracht hatte, das ihr in der Kehle aufgestiegen war. Dann blickte er an ihr vorbei auf Danior. »Und er?«
Danior fuhr zusammen, er war geistesabwesend gewesen. »Danior Terlath – ich bin Danior Terlath.«
Der Viir-Nega hob die Augenbrauen. »Natürlich. Wer kannte es sonst sein. Ich hoffe, du hast Neuigkeiten aus deinem Tal mitgebracht. Neues von meinem Rauth-Bruder?«
»Meinem Vater – ja.«
»Und deiner Mutter? Und Fiirsevrin?«
»Von allen«, versprach Danior, und sein Blick irrte kurz zu der Schärpe, die der Viir-Nega um die Taille trug.
Der Viir-Nega nickte und blickte zu Rezni. »Und außer den Neuigkeiten hat jeder von euch noch Sand in den Stiefeln und Staub in den Haaren. Keva, Danior – Maiya wird euch in den Baderaum führen, wo ihr euch reinigen könnt, und saubere Kleider für euch heraussuchen. Das wird mir die Zeit geben, um mich mit dem Nathri-Varnitz zu unterhalten, damit er in seinen
han-tau
zurückkehren kann. Seine Frauen haben schon angefangen, sich Sorgen um ihn zu machen.«
Frauen? Keva warf einen erstaunten Blick auf Rezni. Er schaute finster zu Boden, sein Gesicht verdunkelte sich; er vermied es, ihren Augen zu begegnen. Er schien erleichtert zu sein, als die Frau erschien, die sie bereits an der Tür getroffen hatten, und ihnen durch Zeichen bedeutete, ihr zu folgen.
Der Baderaum war eine kleine Kammer, und als Keva nach oben schaute, entdeckte sie, daß seine Scheiben die Sterne blau färbten. Es gab dort eine große, runde Wanne, halb mit
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