Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide
hartnäckig, herrschsüchtig - und in manchen Dingen empfindlich. Sie hatte gelernt, ihrer Tochter gegenüber einen gewissen Abstand zu wahren; wie es sich für eine Barohna ziemte. Aber Iahn gegenüber hatte sie niemals Abstand gewahrt. Er war ihr Gemahl, ihr Vertrauter, ihr Berater; die Person, die ihr am nächsten stand. Immer, wenn sie hinausgesehen und beobachtet hatte, wie Reyna für ihre Prüfung übte, hatte sie befürchten müssen, daß Iahn sein selbstgewähltes Exil für alle Zeiten verlängern würde.
Sie hatte versucht, Reyna mit Einwänden von ihrer Prüfung abzuhalten, mit Befehlen, mit Ablenkungen. Und schließlich hatte sie ihr eine Alternative angeboten, eine Prüfung anderer Art – eine, von der sie zurückkehren konnte, zwar nicht als Barohna, aber vielleicht mit einem gewissen Zuwachs an Stolz. Eine Prüfung, hinter der ein Sinn war.
Der eigentliche Sinn einer Wahl, erkannte Reyna, während sie zusah, wie ihre Mutter den Stoff ihres Gewandes mißhandelte, war, daß man sie treffen mußte. Man mußte ihr zustimmen – oder sie ablehnen. Und wieviel Zeit brauchte sie, um die beiden Möglichkeiten gegeneinander abzuwägen?
Sehr wenig. Überraschend wenig.
»Ich werde gehen«, sagte sie.
Obwohl die Worte kühn und ihre Entscheidung sicher war, bebte ihre Stimme.
Ihre Mutter sah sie einen Moment mit leerem Blick an, dann sah sie rasch an sich hinab und glättete das Gewand an ihren Hüften.
»Ich dachte es mir«, sagte sie endlich. Es war schwer zu entscheiden, ob Bedauern oder Erleichterung in ihrer Stimme lag. Vielleicht war es von beidem etwas. »Du wirst dafür üben müssen, wie du auch für deine Prüfung geübt hast. Ich werde mit den Arnimis reden und die übrigen Vorbereitungen treffen. Wenn du deine Sache gut machst, werden wir dich in unserem Tal willkommen heißen, bevor allzu viele Jahreszeiten vergangen sind.«
Ihre Worte hatten einen feierlichen Klang. So schuf sie erneut eine Distanz zwischen ihnen.
»Ich werde üben«, versprach Reyna und respektierte die Distanziertheit.
Bestimmt mußte sie stark sein, um die Prüfung in einer fremdartigen Welt ablegen zu können; einer Welt, in der die Seiden sprachen und sangen; einer Welt, die niemand jemals gesehen hatte, außer durch den Paarungsstein. Ihr Verstand arbeitete rasch. Pläne – sie mußte Pläne machen. Sie hatte sich zu einer unvorstellbaren Reise verpflichtet. Nun mußte sie sich überlegen, wie sie erfolgreich sein konnte.
Natürlich mußte sie länger und härter trainieren. Dann mußte sie zu Wollar gehen, wenn sie Zeit dazu haben würde, und ihn bitten, ihr zu zeigen, wie man Spuren verfolgt. Das wäre auf jeden Fall eine nützliche Fähigkeit. Obwohl ... Sie schaute Juaren an. Er konnte ihr das Spurenlesen ebensogut beibringen wie Wollar; möglicherweise noch besser; wenn er - wenn er über die Nichtbeachtung hinwegsehen konnte, mit der sie ihn gestraft hatte, seit er sich ihrer Mutter verpflichtet hatte.
Jeder Gedanke, ihn um diesen Dienst zu bitten, erstarb sogleich, als sie seinen Gesichtsausdruck bemerkte. Wenn er schon zuvor die schützende Maske abgelegt hatte, war sein Gesicht jetzt nackt – nackt und weiß. Sogar seine Lippen waren bleich. Er berührte sie mit der Zungenspitze und trat vor. Er sah aus wie ein Mann, der eine Gelegenheit erspäht hatte; nur, um sie sogleich wieder enteilen zu sehen.
»Barohna, ich werde ebenfalls gehen«, sagte er.
Reyna sog heftig die Luft ein. Juarens Augen huschten zwischen Khira und ihr hin und her, und sie merkte sofort, daß er ihre Verwunderung als Protest mißverstand. Seine Gesichtszüge verhärteten sich in der Verteidigung; auf seiner Schläfe trat eine klopfende Ader hervor.
»Ich gehe mit«, wiederholte er, schärfer.
Khira verbarg ihre Überraschung nicht besser, als es Reyna gelungen war. Sie hob abrupt den Kopf, ihre Pupillen wurden stecknadelkopfgroß, ihre Schultern versteiften sich.
»Du?« sagte sie. »Weshalb? Weshalb willst du denn gehen, Juaren?« Offensichtlich paßte es nicht in ihren Plan.
Reyna wiederholte stumm die Frage ihrer Mutter. Warum wollte er sie auf dieser Reise begleiten? Birnam Rauth bedeutete ihm nichts, und die Reise konnte gefährlich sein. Aber eine der ersten Fragen, die er ihr an dem Tag gestellt hatte, als sie sich trafen, hatte den Arnimis gegolten. Und er hatte während dieser Wärmesaison lange Stunden damit verbracht, auf der Mauer zu sitzen, auf die westliche Plaza zu starren und ihre Luftfahrzeuge beim Starten und
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