Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide
Zufriedenheit. Dariim schaute auf sie nieder und bemühte sich, Beruhigung in ihrem langsamen, tiefen Atem zu finden. Weshalb hatte sie das Gefühl gehabt, daß etwas in der Nähe wäre; eine dunkle, widerwärtige Gestalt, wo in Wahrheit nur Falett hier war?
Waren es Nachtmahre gewesen? Bei diesem Gedanken sträubte sich unwillkürlich ihr Nackenhaar. Sie war kurz versucht, Faletts Schulter anzustupsen, um ihre Schwester zu wecken, damit sie mit ihrer Furcht nicht allein war. Dariim und Falett hatten gemeinsam gesaugt und waren von Kindheit an zusammen umhergetollt; waren vereint an ihren ersten Baumwurf herangeschlichen und hatten ihre erste erlegte Beute geteilt. Sie hatten denselben Geruch an sich; der Geruch von Faletts Fell war der Geruch ihres eigenen Fells; vertraut und anheimelnd.
Aber welchen Schutz konnte Falett gegen Nachtmahre bieten, wenn sie es gewesen waren, die sie im Schlaf aufgesucht hatten? Und wenn die Nachtmahre angefangen hatten, sie heimzusuchen, weshalb dann nicht Falett?
Warum sollte es überhaupt Nachtmahre geben, wo die Nacht so warm war und die Jagd so erfolgreich? Nur, weil die Spinner und Singseiden und einige Kreaturen, die kein Sithi je gesehen hatte, stumme Gedanken in die Lüfte sandten? Weshalb sollten diese Gedanken derart lange Schatten werfen? Es gab viele Fragen in Dariims Leben. Zuweilen schossen sie ihr so blendend hell durch den Kopf wie Nektarflitzer, die auf der Lichtung an den Blumen nippten, während das Sonnenlicht auf ihren Flügeln tanzte. Dariim vermochte sie niemals zu fangen, egal, wie behutsam sie sich anschlich oder wie geschickt sie sprang. Sie entwischten ihren zuschlagenden Krallen jedesmal, um gleich darauf wie zum Hohn zurückzukehren.
Jetzt schien es, als müßte sie noch mehr Fragen stellen. Sie wickelte sich wieder in ihre Seidentücher ein, dachte darüber nach und wünschte sich, daß Falett ihre ständig umherschweifende Neugier teilen würde. Sie hatte gelernt, an der gequälten Art, wie ihre Mutter sich gab, an der Geschwollenheit ihrer Lider und am Zucken ihrer Nase zu erkennen, wann die Nachtmahre sie heimsuchten. In solchen Nächten war sie in das Nest ihrer Mutter geschlüpft und hatte sie völlig in ihre Stoffbahnen verwickelt dort liegen sehen, mit zurückgeworfenem Kopf und gebleckten Zähnen. Singträumen wurde dieser Zustand genannt; wenn die Stoffe mit glänzenden Seidenarmen hinausreichten und das Mondlicht und den sanften Nachtwind in Gesang verwandelten – Gesang, der die Nachtmahre verscheuchte.
Aber wie verscheuchte der Gesang die Nachtmahre? War es nicht vielmehr das Stumm-Reden der Seide, das dies bewirkte? Wie konnte sie das erfahren, solange sie noch keine eigene Seide besaß, solange sie noch nicht mit eigenen Ohren gehört hatte, was die Seiden in ihrer wortlosen Sprache erzählten, wenn sie sangen? Während ihr diese Gedanken durch den Kopf gingen, fuhr sich Dariim geistesabwesend mit der Zunge durchs Fell; bei dieser Tätigkeit wurde sie allmählich wieder schläfrig.
Als der Schlaf kam und ihr die Lider zudrückte, ihren Atem sacht und langsam machte, brachte sie ein Schauder der Furcht rasch wieder ins Wachbewußtsein zurück. Sie setzte sich aufrecht; ein unkontrolliertes Zittern lief durch ihren Körper. Schließlich, als das kalte Angstgefühl auch nach mehreren Minuten nicht weichen wollte, erhob sie sich von ihren stummen Seiden und kroch beschämt den Baumstamm hinab ins Nest ihrer Mutter.
Tsuuka lag ebenso friedlich eingerollt dort wie Falett. Ihre Singseiden waren dicht auf ihre Pfähle gewickelt: die scharlachrote, goldene und azurblaue; die violette, gelbe und die smaragdgrüne; die purpurne und die chartreusefarbene. Das Mondlicht lag auf ihnen und fiel in einem blassen Regenbogen über den Nestboden. Dariim trottete durch das Nest und betastete die Seiden. Sie fühlten sich schlüpfrig-glatt und kühl an. Das bloße Darüberstreicheln ließ sie erneut – und sogar heftiger – über ihre Gesänge staunen, und über die Dinge, die sie bewirkten.
Aber Staunen würde nicht ihre Sinne für die Jagd schärfen. Nur Schlaf vermochte das, und Dariim hatte nicht die Absicht, hungrig zu werden. Sie rollte sich neben ihrer Mutter zusammen und strengte sich an, ruhig zu werden. Der Geruch aus dem Fell ihrer Mutter war sehr vertraut und beruhigend. Bald schlief Dariim wieder.
Aber erneut verdunkelte sich das Mondlicht, und sie hatte das Gefühl der Anwesenheit von etwas Dunklem. Es zerrte
an ihr und versuchte, sie
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