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Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide

Titel: Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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Sie fröstelte; ihre Gedanken rasten wie wild und vergrößerten ihre Verwirrung. Was
konnte
in einem Baum leben? Der Schreck löste ihre Krallen, und sie rutschte eine Armlänge den Stamm hinab, bevor sie sich wieder fangen konnte.
    Inzwischen waren Massen von Spinnern aus dem Inneren des Baumes hervorgekrochen und hatten sich entlang der weit ausgestreckten Äste aufgereiht. Es waren keine vollständig ausgewachsenen Spinner wie diejenigen, die am Flußufer spannen. Sie waren zarter; die dünnen Glieder unentwickelt und das rosa Fleisch war durchscheinend. Tsuuka konnte die verästelten Blutgefäße unter dem durchscheinenden Fleisch und die Schatten der inneren Organe sehen. Sie konnte sogar die Windungen der winzigen Gehirne durch die zerbrechlichen Schädel hindurch erkennen.
    Und in einigen der Spinner erblickte sie etwas, das sie erneut frösteln ließ; ein gebogenes, mit einer scharfen Spitze versehenes Organ, das dort wuchs, wo eigentlich die Zunge ihren Platz hatte. Und die Beutel, die sackartigen Erweiterungen am Nacken ... Tsuuka starrte dorthin, die Augen vor Schreck weit aufgerissen; ihre Krallen lösten sich, und sie rutschte den moosbewachsenen Stamm hinab.
    Die Spinner schrillten unausgesetzt. Das Geräusch wurde lauter und schwoll wieder ab, seine Intensität steigerte sich noch und bewirkte, daß etwas in Tsuukas Ohren zu flattern anfing, als kämpfe es darum, sich zu befreien.
    Als Tsuukas Füße den Boden berührten, sprang sie vom Baum fort; aber ihr Blick war noch immer nach oben gerichtet, und ihr Maul stand vor Schrecken offen.
    Stacheln.
Einige der Spinner hatten Stacheln anstelle der Zungen. Und ihre Nackenbeutel waren prall gefüllt mit einer schwefelgelben Flüssigkeit. Sie konnte ihre Farbe durch das durchscheinende Fleisch erkennen.
    Stachel und Gift – zu welchem Zweck? Ihr Verstand raste. Waren dies die Spinner, die Maiilin gefangen hatten? Hatten sie Maiilin auch gestochen? Am Rande ihres Gesichtsfeldes nahm Tsuuka Dariim wahr, die dort kauerte. Sie hatte ihre scharfen Zähne zu einer herausfordernden Grimasse entblößt, und ihre Krallen fuhren wie zur Verteidigung durch die Luft. Als Tsuuka vom Baum fortstolperte, machte Dariim einen kriechenden Schritt nach vorn.
    Tsuukas Reaktion kam unverzüglich. Sie fuhr herum und
    versetzte Dariim einen Schlag, der sie zu Boden streckte. Bevor sich die Halbwüchsige wieder aufrappeln konnte, flog Tsuuka schlagend und knurrend auf sie zu. Wut, Angst und Erschrecken – alles legte sie in die Schläge, die sie auf Dariims vor Schreck erstarrten Körper prasseln ließ. Sie knuffte und biß, bis Dariim ihr auswich, sich aufrappelte und floh.
    Tsuuka sprang hinter ihr her, während sie ärgerlich aufheulte; und ihr Geheul war so laut, daß es das Schrillen der Spinner und den herausfordenden Gesang der Seide übertönte. Sie lief auf allen vieren und heftete sich an die Fersen ihrer fliehenden Tochter; ihr fiel nicht auf, daß die Vorhaltungen, die sie ausstieß, nur als erstickte Schreie herauskamen.
    Sie jagte Dariim, bis sie sich in ein Gestrüpp zwängte, das auf sumpfigem Grund wuchs, und ihr entkam. Tsuuka suchte nach ihr, während Nesselzweige ihr das Fell zerzausten. Sie lauschte. Aber alles, was sie vernahm, war ihr eigener Atem und das Tapsen ihrer Füße. Auf dem sumpfigen Boden konnte sie Dariims Fährte nicht ausmachen; aber der ausgeprägte Geruch der Furcht lag im Gebüsch. Vielleicht kam er von ihr.
    Schließlich gab sie auf. Sie kämpfte sich aus dem Gebüsch und warf sich auf den Boden; dort lag sie und rang nach Luft.
    Als sie sich wieder aufrappelte, war ein saurer Geschmack in ihrem Mund, und ihre langen Beinmuskeln bebten. Sie sehnte sich nach der Wohltat des Sonnenscheins und ängstigte sich wegen Paalan und Kaliir, die sie mittlerweile länger als je zuvor alleingelassen hatte. Dennoch sträubte sie sich dagegen, auf die Lichtung zurückzugehen, bevor sie Dariim gefunden hatte. Sie zögerte und wog ihre Angst um Dariim gegen die Erfordernisse ihrer übrigen Verpflichtungen ab. Um Falett machte sie sich nur wenig Sorgen. Wenn sie erwachte, würde sie die Abwesenheit ihrer Mutter gelassen hinnehmen. Aber Paalan und Kaliir waren nur selten allein gewesen. Sie würden weinen, wenn sie aufwachen und sie nicht vorfinden würden, um sie zu umsorgen.
    Hin- und hergerissen trabte Tsuuka durch die Bäume und bemühte sich, ihre Gedanken zu ordnen. Die Vorstellung, daß ihre Nestlinge allein erwachten, gefiel ihr überhaupt nicht.

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