Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide
und als sich ihre eigenen Seiden sehnsüchtig in der leichten Brise bewegten. Sie tauchte nicht aus ihren Gedanken auf, als am Himmel ein wandernder Stern zu flammender Brillanz aufleuchtete und einen Funken freisetzte, der in scharfem Bogen hinabfuhr, und als ein tiefer Ton erscholl, der dieses Ereignis begleitete.
Sie entkam ihren peinigenden Gedanken erst, als sie endlich einschlummerte. Es war ein unruhiger Schlummer, erfüllt von einem höhnischen roten Gesang und dem Schrillen ärgerlicher Stimmen, und von Furcht. Denn sie wußte, daß es nur eine Möglichkeit gab, Dariim davon abzuhalten, daß sie in das Herz des Waldes zurückkehrte. Und diese Möglichkeit bestand darin, daß sie selbst ging und die rote Seide holte, bevor Dariim es tun würde. Und sie hatte Angst.
9 Reyna
Ein Wald aus Bäumen mit weißen Stämmen. Tiere mit kastanienbraunen Fellen und gelben Augen. Leuchtende Seiden, die in den Zweigen sangen.
Das waren die Dinge, die Danior mittels des Paarungssteines gesehen hatte, während Jhaviirs blaue Seide sang. Aber Reyna konnte heute abend nichts von alldem erblicken, als sie aus der geöffneten Luke des Arnimischiffes sah, die zusammengefaltete Sternenseide unter den Arm geklemmt. Statt dessen erblickte sie den abnehmenden Mond es gab nur einen – über einer konturlosen Ebene. Sie sah einen alleinstehenden, mißgestalteten Baum. Und sie sah Sterne, die nach der Brillanz, mit der sie von der
Narsid
aus zu sehen gewesen waren, verschleiert schienen.
Unentschlossen blickte sie zurück nach Juaren und Verra. Sie schliefen auf ihren Lagern; Verra war blaß, ihr Gesicht verzerrt, als hätte sie Magenschmerzen; Juaren runzelte im Schlaf die Stirn und schützte seine Augen gegen die gedämpften Lichter im Schiffsinneren. Es würde Stunden dauern, bevor sie wieder aufwachten. Dafür garantierte das Sedativum, das sie genommen hatten, um den körperlichen Beschwerden entgegenzuwirken, die mit der Transition aus der Erstarrung heraus verbunden waren.
Reynas Gegenmittel dagegen befand sich unberührt in dem versiegelten Gefäß. Sie war aus der Starre erwacht, ohne mehr zu spüren als einen matten Schmerz in den Schläfen und ein Gefühl der Desorientierung.
Sie konnte sich weder mit dem einen noch mit dem anderen befassen, als sie durch das Innere des kleinen Schiffes schritt. Ihr Gedächtnis kündete davon, daß sie erst heute morgen in die Erstarrung übergegangen waren. Sie konnte noch immer die kalte Blässe im Gesicht des Technikers sehen; der sich über sie gebeugt hatte. Sie konnte immer noch seine uninteressierte Stimme hören, als ihr Bewußtsein sie in sorgfältig bemessenen Stufen verlassen hatte. Sie glaubte sogar,
zuerst die Luke des Arnimischiffes zuschlagen zu hören, und dann den dumpfen Schlag der viel schwereren Luke der Raumkrümmungskammer; obwohl sie wußte, daß sie in die Erstarrung geglitten war, noch bevor das Schiff versiegelt worden war.
Sie wußte, daß Dutzende von Tagen seit diesen Ereignissen vergangen waren; Tage, in denen sie riesige Entfernungen zwischen den Sternen zurückgelegt hatten, die von Brakrath aus nicht einmal sichtbar gewesen waren. Aber wie konnte sie die Realität der Transition erfassen, indem sie von Häfen und aus Luken Ausschau hielt? Und wie konnte sie die Sternenseide sprechen hören?
Natürlich hatte sie von hier aus alles beobachtet, und natürlich hatte sie lange genug gelauscht, um sicher zu sein, daß außerhalb des Schiffes nichts auf der Lauer lag. Wieder schaute sie zurück, um sich zu vergewissern, ließ die metallene Rampe hinab und schritt hinaus, sie nahm erleichtert zur Kenntnis, daß sich die äußere Schiffsluke hinter ihr schloß.
Das Mondlicht zeigte ihr eine weite, ebene Gegend, mit Gras und niedrigen Büschen bewachsen und gelegentlich einem verkrüppelten Baum. Die Luft berührte sanft ihre Haut, sie war wärmer, als sie erwartet hatte und schwer von Gerüchen, die zuweilen völlig fremdartig anmuteten. Sie blieb eine Weile unentschlossen stehen, dachte über mögliche Risiken nach und erwog umzukehren. Die Schiffsschleuse hätte sich jedoch nicht geöffnet, wenn die Luft ein Element enthalten hätte, das für den menschlichen Metabolismus schädlich wäre. Verra hatte ihr das versichert.
Sie wählte ihren Weg durch das wildwachsende Gras, hielt häufig inne und lauschte. Als sie einen der verkrüppelten Bäume erreichte, blieb sie eine Weile bewegungslos stehen und horchte die Nacht nach ungewöhnlichen Geräuschen ah.
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