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Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide

Titel: Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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und hungrig ihre Krallen hineinschlugen. Auch hatte sie niemals die Seide eines Nachbarn zerrissen, barsch zu den Jungen ihrer Nachbarn geredet oder sich eine andere Art von Gehässigkeit zuschulden kommen lassen.
    Heute nacht aber quälte sie absichtlich die azurfarbene Seide – der sie sonst ihre geheimsten Gedanken mitzuteilen pflegte – im vollen Bewußtsein der Grausamkeit ihre Tuns. Sie tat es ohne Gewissensbisse; denn aller Schmerz, den sie der Seide zufügte, war gering verglichen mit dem, der sie plagte.
    Stachel ...
In der vergangenen Nacht war sie nochmals in das Herz des Waldes gegangen, hatte sich bei Mondaufgang wie ein Schatten davongemacht, lautlos und dicht am Boden. Auf dem Weg hatte sie weder Sithis noch Spinner angetroffen. Auch von der roten Meisterseide hatte sie keine Spur entdecken können, nachdem sie Wachaufstellung am Fuß eines moosbewachsenen Baumgiganten bezogen hatte. Dort hatte sie lange gekauert, aber nichts außer dem Rauschen ihres eigenen Blutes und dem Knacken der schweren Äste gehört. Manchmal war es ihr so vorgekommen, als hätten die Schatten sich bewegt, und sie hatte sich unbehaglich umgesehen, aber nichts Auffälliges erblicken können.
    Dann hatten sich die Wolken vor dem Mond verzogen, und die rote Seide war aus einem Versteck hervor und durch die
    Bäume geflattert. Tsuuka hatte mit angehaltenem Atem hochgestarrt und an allen Muskeln gebebt. Die Seide war wie ein Streifen Sonnenlicht durch das Geäst geschwebt, offenbar zu unruhig, um irgendwo länger zu verweilen. Zuweilen hatte sie sich in den höchsten Zweigen festgehakt, dann wieder war sie hinabgeflogen und um den bemoosten Baumstamm geflattert; ihr feuriges Lied war zu einem tiefen Brummen geworden.
    Tsuuka hatte sich bebend vor wachsamer Angespanntheit hingekauert, bis die Seide plötzlich in Bodennähe geflogen war und sich in den unteren Ästen desselben Baumes verfangen hatte, unter dem Tsuuka lauerte.
    Sie hatte auch nicht einen Sekundenbruchteil gezögert. Sie war gekommen, um die Seide zu holen. Jeder Nerv war gespannt und jeder Muskel bereit gewesen. Und sie war gesprungen, hatte die scharfen Krallen in den bemoosten Stamm geschlagen und war den Baum hinaufgehetzt.
    Aber wie gewandt sie auch gewesen war, die Seide war noch geschickter. Tsuuka hatte sie mit den Fingerspitzen berührt und die Krallen in das Gewebe geschlagen, aber die Seide hatte ärgerlich die Stimme erhoben und sich freigezerrt. Dann, bevor sie ihre Beute den Baum hinauf verfolgen konnte, hatte das Holz unter ihren Krallen gedröhnt, und Spinner waren nicht nur aus dem Baum gequollen, an dem sie hing, sondern auch aus anderen Bäumen.
    Entsetzt hatte sie um sich geblickt. Sie war so lautlos gekommen und hatte so still im Schatten gekauert. Sie hatte sich nicht bewegt, außer bei dem raschen Sprung. Und dennoch hatten ihr von zahllosen Ästen aus Spinner entgegen-gekreischt, deren vernunftlose Augen sie wild angestarrt hatten. Unter ihnen waren Spinner der Art gewesen, wie sie schon einmal welche gesehen hatte – Spinner mit Stacheln.
    Spinner mit Stacheln – und sie waren seit dem vergangenen Nachmittag sichtbar gewachsen. Ihre zarten Glieder waren kräftiger geworden, das Fleisch fester. Die Stacheln waren verhornt, und ihre Spitzen furchtbar. Ihre Stimmen hatten einen neuen, alarmierenden Unterton erhalten; seelenlos und durchdringend.
    Eine Weile hatte Tsuuka ihnen ratlos in die ausdruckslosen Augen geschaut. Dann hatte ihr Instinkt die Herrschaft übernommen, und sie war den Baum hinabgeglitten und auf allen vieren davongelaufen. Furcht, eine Ur-Furcht, hatte sie derart angetrieben, daß sie nicht dazu kam herauszufinden, weshalb sie fortlief und wohin. Das Rauschen des Blutes in ihren Ohren hatte ihr keinen Aufenthalt zugestanden.
    Aber sogar während des Laufens war ihr das Brennen in den Fingerspitzen bewußt geworden, das die rote Meisterseide hinterlassen hatte. Sie hatte sie berührt, und ihre Krallen hatten sie gehalten. Wenn sie ein bißchen schneller gewesen wäre ... hier hielten ihre Gedanken ein und schlugen
    plötzlich eine neue Richtung ein. Wenn sie die rote Seide gefangen hätte – wäre sie dann jetzt noch frei gewesen? Oder hätten die Spinner sie in eine übelriechende Seide eingesponnen und gelähmt?
    Spinner mit Stacheln.
Dieser Gedanke war so widersinnig, daß sich ihr Verstand dagegen auflehnte. Die Spinner waren
    geistlose Geschöpfe; ohne Raffinesse und ohne Fähigkeiten,
    mit deren Hilfe sie sich zu

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