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Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide

Titel: Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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Märchen, Seide? Wenn die Spinner keine Nachkommen haben außer euch, wieso gibt es dann immer Spinner, die am Fluß arbeiten und in den Bäumen Futter suchen? Woher kommen sie?
    Willst du es wirklich wissen, Tsuuka?
erkundigte sich die Seide.
    Ich bestehe darauf, Seide,
erwiderte Tsuuka knurrend.
    Die Seide murmelte schwach und kläglich vor sich hin.
Du bist eine Jägerin; die geschickteste und beste, und trotzdem befaßt du dich mit so geringfügigen Fragen. Diese Dinge sind so unwichtig . . .
    Berichte mir von diesen unwichtigen Dingen!
verlangte Tsuuka.
    Die Seide seufzte.
Wenn du es wissen mußt, Tsuuka. Die Spinner schlüpfen aus Knollenschächten. Die Ungesehene sät sie aus
und füttert und pflegt sie, bis ihre Kokons platzen. Als letzte Mahlzeit fressen sie diese Hülle; dann gehen sie in den Wald und bringen
eurer Mutter. Sie dachte, ihr würde schon nichts geschehen, weil sie schon zuvor in den tiefen Wald gegangen war, ohne daß ihr etwas zugestoßen war. Sie hat in den Knollenschacht geblickt.
    Laß dir sagen, Tsuuka: Es gibt bestimmte Zeiten, in denen ein Junges dort laufen und klettern und jagen kann. Es gibt sogar Zeiten – allerdings kurze Zeiten –, in denen es in den Knollenschacht blicken und die Knollen an den Wänden sehen kann. In diesen Zeiten liegt die Ungesehene geschützt in ihrer Markhöhle am Boden des Schachtes und ist sicher davor, erblickt zu werden.
    Aber es gibt auch andere Zeiten, in denen sich kein Sithi in der Nähe dieser Bäume aufhalten darf; und zu einer dieser Zeiten hatte deine Schwester beschlossen, dorthin zu gehen.
    Also haben die Spinner sie in eine Grummlerin verwandelt,
sagte Tsuuka.
Spinner mit Stacheln.
    Die Seide schauderte in der kühlen Luft. Als sie wieder sprach, war ihre Stimme nur noch ein angstvolles Wispern.
Sie werden Leibwächter genannt, weil sie die Ungesehene und ihre Nachfolgerin begleiten, wenn sie den Knollenschacht verlassen. Das war der Fall, als deine Schwester beschloß, den tiefen Wald aufzusuchen. Und du hast richtig vermutet. Es war der Stachel eines dieser Leibwächter, der sie in eine Grummlerin verwandelt hat – aber es war keine Absicht. Die einzige Absicht dahinter war, die Ungesehene zu beschützen.
    Vor– Maiilin?
verlangte Tsuuka mit ärgerlichem Knurren zu wissen.
Maiilin ist nicht dorthin gegangen, um Schaden
zu
stiften. Sie ging nur, weil …
Sie war gegangen, weil die Unternehmungslust der Jugend sie getrieben hatte.
Du weißt doch, wie wir sind, Seide. Wir sind lebensbedrohend für die Beutetiere, aber nicht für die Spinner. Und niemals sind wir es
für
euch.
    Ihr seid die Beschützer unserer Art. Ihr macht den Wald sicher, so daß sich die Spinner gefahrlos darin bewegen und Futter für das Ungesehene einsammeln können,
stimmte die Seide demütig zu.
Aber es gibt nur eine einzige Ungesehene. In diesem ganzen Teil des Waldes, soweit er sich erstreckt – und nur sie kann den Knollenschacht besäen. Nur sie kann eine Nachfolgerin erschaffen, wenn sie fühlt, daß ihre Fruchtblase auszutrocknen beginnt. Nur sie vermag all unsere Gedanken
zu
koordinieren und unsere Handlungen
zu
steuern. Und sie ist keine Spinnerin, meine Jägerin. Weder von der Art noch vom Aussehen her. Wir können es nicht wagen, sie dem Zufall, den Launen eines Sithi-Jungen oder den Jungen anderer Lebewesen auszusetzen, wenn sie gezwungen ist, ihren Schacht zu verlassen. Wir vertrauen ihre Sicherheit dem Instinkt der Leibwächter an. Sie besitzen nur einen Trieb, und nur sie kann ihn zügeln, wenn sie stark genug dazu ist. Wenn sich eine Ungesehene dem Ende ihres Daseins nähert, ist sie oft zu schwach, um sich selbst zu verteidigen, und darauf angewiesen, daß die Leibwächter sie beschützen.
    Nur ein Instinkt: zu stechen. Zu lähmen. Zu betäuben; den Körper für wenige Minuten und den Verstand für immer. Tsuuka senkte den Kopf, ließ die Seide locker, lehnte ihren kraftlosen Körper gegen den weißstämmigen Baum und ließ die Last ihrer Verantwortung von den Schultern gleiten. Maiilins Vernichtung war nur Zufall gewesen. Weil nur der Zufall sie an jenem Tag in den tiefen Wald geführt hatte; in dieser kritischen Zeit. Sie hätte ihre Schwester nicht beschützen können. Wäre sie mutig gewesen und hätte sie sich nicht versteckt, wäre sie jetzt ebenfalls eine Grummlerin.
    Langsam hob sie den Kopf. Das Mondlicht fiel silberhell durch den Kreis der Bäume, aber die azurblaue Seide fing die Brise nicht ein; bauschte sich nicht in ihr. Sie hing mutlos

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