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Sternenspiel

Sternenspiel

Titel: Sternenspiel
Autoren: Sergej Lukianenko
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Flügel die geschossartige Bewegung stoppten. Ein paar Sekunden fuhren wir als bizarres Tandem weiter, rasierten die wenigen Betonpfeiler ab und nahmen uns den Hügel vor. Ungefähr nach dem zehnten Baum kapitulierten sowohl der Bus wie auch das Raumschiff vor den Barrieren und blieben stehen.
    In dem Moment krachte es so gewaltig, dass ich kurz in Ohnmacht fiel. Als ich meine Augen wieder aufkriegte, stellte ich überrascht fest, dass ich noch lebte. Die Nase der Spiral war plattgedrückt, das Cockpit zusammengequetscht wie ein Akkordeon. Absurderweise war aber kein einziges Fenster zersprungen, und die Beleuchtung funktionierte auch noch. Auf dem umgestürzten Jumper hockte der Zähler und band sich das Seil ab, das ihn gesichert hatte. Wie hatte er es bloß geschafft, nicht zerfetzt zu werden?
    Indem ich den Kopf schüttelte, versuchte ich den blutigen Rotz aus meinen Augen zu vertreiben.
    Bis plötzlich alles in mir eiskalt wurde.
    Das Blut war nicht in meinen Augen. Alle Scheiben der Spiral waren mit blutrotem Matsch verschmiert.
    Gütiger Gott!
    Ich riss die Gurte ab, rappelte mich aus dem Sitz und torkelte zur Schleuse. Der Zähler, der sich auf dem Gehäuse des Jumpers aufgerichtet hatte, klatschte mir die Pfote auf den Arm, als wollte er mich aufhalten, doch ich kümmerte mich nicht weiter um ihn. Das Schiff zitterte, offenbar rutschte es den Hang runter. Die Tür zur Schleuse gab erst beim dritten Ruck nach, anschließend zerrte ich am Hebel des Notausgangs. Die Luke ging nicht sofort auf, schließlich schaffte ich es aber doch – meine Panik verlieh mir Kraft.
    Die Luft war kalt und feucht, von der glühend heißen Verschalung stieg Dampf auf. Um mich herum richtete sich das lädierte Kiefernwäldchen wieder auf, der Ikarus, der starr vor mir aufragte, verströmte Brandgeruch. Ich sprang aus zwei Metern Höhe zu Boden, rutschte im nassen Gras aus, stolperte und torkelte zum Bus. Ein Teil der Scheiben war ebenfalls noch intakt und lediglich mit einem Spinnennetz aus Rissen überzogen, durch die ich genau den gleichen purpurroten Brei ausmachte.
    Bitte, lass es keine Kinder gewesen sein! Ein Kloß schnürte mir die Kehle zu. Mit zitternden Händen öffnete ich das Holster. Ich würde mich erschießen, wie es sich für einen Offizier gehört …
    Quietschend öffnete sich die Tür des Busses, und ein ausgemergelter, unrasierter Mann in Trainingsanzug sprang heraus. Kopfschüttelnd betrachtete er erst den zerquetschten Bus, dann mich. Er stand auf. In der einen Hand hielt er ein Brecheisen.
    »Du bescheuerter Kosmonaut!«, brüllte er. »Fliegen in der Weltgeschichte rum, die Arschlöcher!«
    »Wie viele?«, konnte ich nur fragen. Meine Beine trugen mich nicht mehr, Mütterchen Erde forderte mich tadelnd zum Hinlegen auf. »Wie viele …? Da drin?«
    Ich nickte in Richtung des zusammengedrückten Autobusses und versuchte, jeden weiteren Blick auf die verschmierten Fenster zu vermeiden.
    »Achtzig!«, polterte der Fahrer. Alles in mir drin zerbrach. Die Kinder, die hatte ich auf dem Gewissen …
    »Achtzig Kisten, du Mistkerl! Wie soll ich die jetzt bezahlen?«
    Noch bevor ich diese Worte bewusst wahrnahm und mir vergegenwärtigte, dass Menschen nicht in Kisten transportiert werden, hatte der Fahrer mit seinem Brecheisen mich auch schon beinahe erreicht.
    »Halt!«, schrie ich und riss die Pistole heraus. »Ich bin Major der russischen Luftwaffe! Pjotr Chrumow! Ich habe das Recht, von der Waffe Gebrauch zu machen! Nicht näherkommen!«
    Der Fahrer ließ das Brecheisen fallen, sackte auf die Böschung und heulte los, den Kopf in beide Hände gestützt und sich wiegend. Ich schnappte etwas von chinesischen Vertragsbauern auf, die Tomaten anbauten, über die Einwohner von Chabarowsk, die sich ohne diese Tomaten kein Leben vorstellen konnten, über den armen Ikarus, der den Fahrer ernährt hatte und der jetzt nur noch für den Schrottplatz taugte. Mir fehlte jedoch die Kraft, um Mitleid mit ihm zu haben. Tomaten! Achtzig Kisten! Und selbst wenn es die ganze chinesische Jahresernte gewesen wäre!
    »Wieso um alles in der Welt transportierst du in diesem Bus Tomaten?«, fragte ich.
    »Worin denn sonst, wenn ich keinen Kamas-Laster habe?«
    »Mach dir keine Sorgen, man wird dir deinen Verlust erstatten!«
    Der Fahrer hörte prompt mit seinem Geflenne auf und hob den Kopf. »Wirklich?«, hakte er ungläubig nach.
    »Wird man!«, versprach ich, während ich zum Bus rüberging. Er bot einen furchtbaren Anblick. Ich
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