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Sternenspiel

Sternenspiel

Titel: Sternenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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dämliche Katze eine schlaue Maus. Und so würde es immer sein.
    Ich hob das Photo und betrachtete den blonden Jungen.
    Verzeih, Kleiner. Du konntest nicht ich werden. Du hast dich in einen Teil der Erde verwandelt. Und ich bin du geworden. Ich habe deinen Namen und dein Schicksal angenommen. Ich bin gewachsen, habe mich für Pjotr Chrumow gehalten, den Enkel des »bekannten Politologen und Publizisten«.
    Was halten wir von den Starken Rassen, die die Menschheit, die sie nicht zu ihresgleichen zählen, zu Weltraumfuhrleuten heranziehen?
    Was halten wir von einem Menschen, der sich der Erziehung eines Kindes annimmt, mit einem einzigen Ziel -den Retter der Menschheit heranzuziehen?
    Dabei war ich ihm nicht mal ähnlich. Nur die Haarfarbe stimmte. Er jedoch hatte dunkle Augen, ich blaue. Wie einfach es doch zu erklären gewesen war: Ich war herangewachsen, hatte mich verändert …
    Ich durfte nichts zurücklassen?
    Aber ich habe auch nichts, was ich zurücklassen könnte, Großpapa … Verzeihung, Andrej Chrumow. Ich habe rein gar nichts. Ich bin allein auf dieser Welt. Mir gehört nichts. Selbst Liebe und Freundschaft habe ich gemieden, denn die hätten mich gebunden. Sie haben mich wirklich großartig erzogen, Andrej Valentinowitsch.
    Sie hätten den Nobelpreis wahrlich verdient.
    Ich beugte mich übers Klosett – die von einem purpurroten Duftmittel gefärbte Wasserlache sah wie Blut aus – und hustete. Es würgte mich, etwas Bitteres und Widerliches stieg in mir auf. Als ich den Würgereiz zu unterdrücken versuchte, wurde es bloß noch schlimmer. Alles kam jetzt aus mir heraus, das nicht verdaute Frühstück und der französische Wein. Mit beiden Händen stützte ich mich an der gewölbten Wand ab, hinter der die vom Flugzeug zerschnittene Luft dröhnte, und stand gut eine Minute da, mit zittrigen Beinen und einem bitteren Geschmack im Mund.
    Dieser Zeitungsartikel reichte gerade, um mir die Finger abzuwischen. Die Photographie zerriss ich in kleine Schnipsel und warf sie ins Klo.
    Lass nichts hinter dir …
    Ich beugte mich zum Hahn vor und spülte mir den Mund mit warmem, nach Desinfektionsmittel riechendem Wasser aus. Es kam mir zuckersüß vor. Wie die Liebe meines Großvaters – für die herrenlose Waise, die er anstelle seines toten Enkels angenommen hatte.
    Haben Sie mich lange ausgesucht, Andrej Chrumow? Darauf geachtet, ob ich gesund und klug war? Mich Ihrer Erziehung problemlos fügen würde? Nicht mit einem negativen Erbe belastet war? Haben Sie ihn lange ausgesucht – denjenigen, der den Traum von der Größe der Menschheit erfüllen sollte?
    Aber auch das aussortierte Material verkam nicht. Mein Großvater behielt auch die kluge kleine Mascha im Auge. Und nicht nur sie, nehme ich an. Wie viele seid ihr, ihr abgelehnten Pjotr Chrumows, die ihr unter der fürsorglichen Aufsicht des Chrumow-Fonds herangewachsen seid, die Universität besuchen durftet, Arbeit erhalten und den Glauben an die große Zukunft der Menschheit eingeimpft bekommen habt?
    Ich hatte nur mehr Glück als ihr alle. Ich hatte die Illusion einer Familie.
    Aber die Illusion der Freiheit, die besaßen wir alle.

Drei
     
    Von Chabarowsk nach Swobodny flogen wir in einem Hubschrauber des Roskosmos. Danilow sah mich fragend an, sagte jedoch kein Wort. Erst im Anflug, als der Hubschrauber schon wieder tiefer ging, beugte er sich zu mir rüber und sprach mich an: »Entschuldige, Petja. Ich habe alte Wunden aufgerissen …«
    Glaubte er wirklich, die beiläufige Erwähnung meiner Eltern wäre mir aufs Gemüt geschlagen? Was für ein Unsinn! Das waren ja gar nicht meine Eltern, die da über der kalten Taiga abgestürzt waren. Das war nicht mein Fleisch und Blut, das da in den Hügeln verschmiert worden war.
    Denn ich war ein Niemand.
    Ein Zombie, ein Homunkulus, ein Wechselbalg. Einer, den die Gesellschaft weggeworfen und der dann das große Los gezogen hatte, um eben dieser Gesellschaft irgendwann zu dienen.
    Ich hatte an Liebe und Freundschaft geglaubt, an Uneigennützigkeit und Treue. Doch die Liebe hatte sich als Berechnung erwiesen, die Freundschaft als Geschäftsbeziehung, die Uneigennützigkeit als vorteilhafte Kapitalanlage, die Treue einfach als Verrat.
    »Ich habe es satt, ein anständiger Junge zu sein …«, flüsterte ich.
    »Was?« Danilow glaubte vermutlich, er habe sich verhört.
    »Ich habe es satt, ein anständiger Junge zu sein!«, schrie ich. Meine Stimme ging zwar im Brummen der Rotorblätter unter, dennoch verstand

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