Sternenstaub (German Edition)
genau vor sich. Er sah die Leichen seiner Freunde und Familie, wie sie, teilweise unter den schweren Körpern der massigen, ebenfalls toten Drachen begraben, blutüberströmt am Boden lagen.
„Vielleicht b in ich der letzte meines Volkes“, sprach Leif leise in das Rauschen des Windes.
Doch dann erinnerte er sich ebenfalls daran, dass er zwar viele Mitglieder seines Volkes am Boden hat liegen sehen, doch bei weitem nicht alle. Zum Beispiel hatte er weder die Leiche seiner Mutter, noch die i hres Drachen erblicken können; eine Tatsache, die ihn wenigstens ein wenig auf-baute.
„Wohin fliegen wir überhaupt?“, rief er seinem grünen Reittier zu und erhielt lediglich ein tiefes Krächzen als Ant -wort.
„Natürlich!“, fiel es Leif wieder ein. Er war in der Nacht, nach der plötzlichen Flucht aus der Höhle noch ein paar Mal hoch über dem brennenden Dorf gekreist und hatte die Szenerie aus sicherer Entfernung und sehr schockiert betrachtet. Die Schergen König Harbolds, au s der großen Höhe erschienen ihm wie kleine, schwarze Punkte, liefen zwischen den lodernden Hütten hin und her und plünder-ten das Hab und Gut der besiegten und vertriebenen Dra-chenreiter.
Nachdem Leif genug gesehen hatte, erinnerte er sich an die Worte seines Vaters über die Insel im Eismeer und steuerte seinen Drachen auf die offene See. Geschwächt von den Ereignissen war er im Flug auf dem Rücken seines Reittieres eingeschlafen und erst Stunden später wieder er-wacht.
„Kannst du noch mein Freund?“, fragte Leif sein Reittier und bekam ein kraftvolles und überzeugend klingendes Grunzen als Antwort.
Stunden vergingen, in denen Leif nichts sah als das blaue Meer unter sich dahin gleiten und den ebenso blauen Horizont weit vor sich. Leif langweilte sich sehr und ihm fiel es schwer, nicht über die Ereignisse der letzten Nacht nachzudenken. Es machten sich Trauer und Verzweiflung in seinen Innereien breit, die ihn beinahe dazu brachten, sich vom Rücken seines Drachens in die Tiefe zu stürzen, um seine auswegslose Situation zu beenden.
Doch die Hoffnung, dass seine Mutter mit einigen wenigen anderen Mitgliedern seine s Volkes noch leben könnte, ließ ihn jedes Mal die Gedanken an den Freitod vertreiben.
Als er seinen Blick erneut über den Horizont streifen ließ, zuckte Leif zusammen. Weit in der Ferne war Land zu erkennen. Dunkle Felsen, die von weißen Kappen aus pu-rem Eis bedeckt waren.
„Da ist sie!“, rief Leif freudig erregt. „Schau nur Drako! Wir haben die Insel , von der Vater gesprochen hat, gefunden.“ Der Drache ließ ein erleichtertes Quieken aus seiner langen Kehle entweichen.
Er war den ganzen Tag und einen Teil der vorherigen Nacht durchgeflogen. Müdigkeit machte sich in seinen Flü-geln breit. Doch der Anblick der großen Insel am Horizont mobilisierte die letzten Kräfte des Tieres und spornte es an, noch schneller zu fliegen. Und endlich, gerade als die Sonne begann, hinter dem Horizont zu verschwinden, berührten die mächtigen Krallen des Drachen den schwarzen Boden der Insel.
„Wir haben es tatsächlich geschafft!“, rief Leif in die kalte Abendluft, während er von seinem Reittier hinab sprang. Der Drache gab ein ermüdetes Fauchen von sich und legte sich genau an der Stelle, an der er gelandet war, hin, um nur wenige Minuten später erschöpft in einen tiefen Schlaf zu fallen.
Die Leistung, die sein noch halbwüchsiges Reittier voll-bracht hatte, erfüllte Leif mit Stolz. Zufrieden grinsend nä-herte er sich langsam dem schlafenden Untier, rollte sich unter dem rechten Flügel Drakos zusammen und war kurze Zeit später ebenfalls im Land der Träume verschwunden.
Vor Kälte zitternd erwachte Leif am nächsten Morgen. Der eisige Wind blies dichte, graue Wolken vom Meer her auf die Insel zu.
„Das sieht nicht gut aus!“, sprach der Junge leise um seinen Drachen nicht zu wecken. „Ich sollte mich schleunigst nach einer Unterkunft umsehen.“
Langsam entfernte er sich von der leise schnarchenden Flü-gelechse in Richtung einer Kette von großen Hügeln, bei denen er die schützenden Wände einer Höhle oder wenigs-tens einen natürlichen Unterstand erhoffte.
Leif kletterte eine steile Felswand hinauf und stand kurze Zeit später auf der Spitze der höchsten Stelle der Kette. Als er zurückblickte, konnte er sein gewaltiges Reittier erken-nen, wie es im Tal unter ihm gerade erwachte und den schlangenartigen Hals
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