Sternenstaub
geben, um dieses Gejammer die nächsten Stunden zu ertragen.
Hell hingegen war das Verständnis auf zwei Beinen. Er zupfte die klettigen Dornen von ihrem Bein, während sie laut und mit herumfuchtelnden Armen ihrem Ekel darüber Ausdruck verlieh, dass irgendeine schuppige Larve an ihrem Pulli hinaufkroch.
Seit vier Tagen ging das nun schon so. Am ersten war ihr Absatz abgebrochen, doch Hell hatte zum Glück in weiser Voraussicht ein Paar ihrer Turnschuhe im Rucksack. Nachts hatte sie sich stundenlang über die Kälte beschwert. Heute Morgen waren es die Knochen, die ihr wehtaten. Und vor einer knappen Stunde hatte sie eine Fliege verschluckt, was sich als ein unbeschreibliches Drama gestaltet hatte.
»Mir ist immer noch nicht wohl dabei, dass du uns begleitest.«
»Wieso?«, fragte Luna, die neben mir ging. Als ich ihr einen aussagekräftigen, besorgten Blick zuwarf, schüttelte sie den Kopf. »Mia, ich bin vierzehn. Und dass ich nun meinen Sinn kenne, hat sowieso alles verändert. Wenn ich auch nicht weiß, ob ich euch helfen kann.«
»Luna, du bist eine gute Seherin. Glaub an dich.«
Sie schnaubte. »Wenn ich das wäre, wüsste ich den Weg in die Kraterstadt.«
»Dir fehlt nur die Übung«, sagte Hell. »Du wirst schon sehen. Noch ein paar Wochen und du kannst deine Visionen ganz gezielt herbeirufen. Dann überfallen sie dich nicht mehr einfach so.« Und geübt, das hatten die beide über lange Wegstrecken, sehr zu Mirjams Missfallen übrigens.
Luna wandte sich an Hell. »Warum ich? Warum hast du mich gebeten, mitzukommen?«
»Weil zwei halbe Seher besser sind als ein ganzer.« Er grinste. »Mia, hat recht, glaub an dich.«
Das Mädchen lächelte scheu. Hey, stieg ihr da etwa eine zarte Röte ins Gesicht? Mirjam quittierte die Unterhaltung der beiden mit einem finsteren Blick. Wer hätte das gedacht: Hell, der heimliche Mädchenschwarm.
Hell griff in seine Tasche und zog etwas heraus, das wie ein mit Kautschuk vermischter Blätterbrei aussah. »Probier doch mal was von der Gahjapflanze. Das hilft.«
»Nein, danke, ich will es hiermit schaffen.« Luna tippte sich gegen die Schläfe.
Ich konnte es nicht fassen. Loduuner nahmen Drogen!
Er hielt es ihr dennoch hin. »Ich sag dir, das machen alle Seher.«
Luna rümpfte die Nase. »Ich bin aber nicht alle Seher. Lucius ist auch immer ohne ausgekommen.«
Hell hob eine Braue. »Hat er das gesagt?«
»Wer ist Lucius?«, mischte Mirjam sich mit Körpereinsatz ein, nämlich, indem sie sich geschickt zwischen die beiden schob. Hell steckte den Gahjakaugummi achselzuckend zurück in seine Hosentasche.
»Mein Onkel und Vorgänger«, erklärte Luna knapp. »Und Lucius ist tot.« Okay, Luna und Mirjam waren sich definitiv nicht grün.
»Wie lange dauert das noch?«, jammerte Mirjam.
»Wir sind fast an der Grenze«, sagte Hell aufmunternd.
Endlich! Lokondras Domizil, auch Kraterstadt genannt, war nur wenige Kilometer von der Grenze entfernt, hatte Hell uns versichert.
Ich schob beide Daumen unter die Gurte meines Rucksacks und ging etwas voraus, um dem Drama für eine Weile zu entkommen. Vorher aber schnickte ich noch zwei Würmer von meiner Schulter, die mich frech als Taxi benutzten. Als ich Mirjam hinter mir wieder zetern hörte, musste ich unweigerlich an das Gespräch vor vier Tagen denken, das sie und ich mit Hell geführt hatten. »Ihr wollt, dass ich was tue?«, hallten Hells Worte in meinem Kopf nach. »Spinnt ihr jetzt völlig?«
»Mensch, Hell, es wäre doch nur für den Fall, dass etwas schiefgeht. Dann wäre ich doch das beste Druckmittel.« Im ersten Moment hatte er mich angesehen, als wäre ich nicht mehr ganz bei Trost. Aber Mirjam hatte ihn schließlich überzeugen können, und jetzt waren wir schon fünf Tage unterwegs. Womit ich allerdings im Leben nicht gerechnet hatte, war, dass Mirjam mit uns kommen würde. Ich hatte versucht, es ihr auszureden, aber sie bestand darauf, sonst, so hatte sie gedroht, würde Hell auch nicht mitgehen und ich könnte zusehen, wer mir den Weg zu Lokondras Festung zeigt. Tat er eigentlich alles, was dieses Mädchen von ihm verlangte? Was fand er nur an ihr? Na ja, man muss nicht immer alles verstehen. Aus der Ferne hörte ich schon leises Meeresrauschen. Und dann sah ich auch, wie sich das Dickicht des Waldes lichtete. Ich ging schneller. Noch ein paar Kilometer und wir wären an der Festung – bei Lokondra. Bei Skyto und den Wächtern. Bei Iason.
Und hoffentlich, hoffentlich auch bei Tony. Wo war mein
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