Sternenstaub

Titel: Sternenstaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Winter

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kleines Glückskind? Lebte es noch?
    Grelle Sonnenstrahlen blitzten durch die Zweige und durchbrachen das sonst eher schummrige Licht, an das wir uns in den letzten Tagen gewöhnt hatten.
    Eine Hand berührte mich an der Schulter. Ich erschrak, weil ich gar nicht mitbekommen hatte, wie Hell zu mir aufgeschlossen war. »Ab jetzt sollten wir sehr vorsichtig sein. Der Gebirgswald endet hier und dahinter beginnt ostloduunisches Hoheitsgebiet.«
    Von flimmerndem Licht scharf umrissen bildeten die letzten Bäume aufrecht wie Wachposten den Waldrand. Hinter einem Stamm versteckt, spähten wir vorsichtig an ihnen vorbei. Dort, wo im Süden üppige Wälder in vielen Farben schimmerten, brannten hier im Osten die beiden Sonnen vom wolkenlosen Himmel auf eine riesige, von Staubteufeln zerstörte Geröllwüste herab. Die flache steinige Oberfläche reflektierte flirrend die … bei uns zu Hause würde man wohl Hitze sagen, aber hier war es eiskalt. Der stetige Wind trieb den Staub bis in den letzten Riss der gewaltigen Felsen und Steilwände, die neben den Wüstenflächen alles waren, was dieser Landabschnitt zu bieten hatte.
    Eine Schneise zwischen den Bergen gab den Blick auf eine weit entfernte Senke frei. Unten umgrenzte ein hoher Zaun ein großes Gelände. Darauf befanden sich unzählige kleine Holzbauten, zwischen denen sich jemand oder etwas bewegte. Ich rätselte, wer oder was das sein könnte, weil sie von hier aus nur als schwache Punkte zu sehen waren, in jedem Fall waren es aber sehr viele … da kroch eine dunkle Ahnung aus dem hintersten Winkel meines Gehirns. »Was ist das?«, fragte ich, doch es war mehr ein Hauchen. »Ist das …?« Es war, als würde es mir den Boden unter den Füßen wegziehen, und doch konnte ich einfach nicht den Blick davon abwenden.
    Hell kam zu mir. »Ja, Mia, es ist ein Domestikationslager.«
    »Ein Domestikationslager? Was ist das?« Mirjams Fingernägel gruben sich angespannt in die Baumrinde, bis diese bröckelte.
    Hells Blick wanderte zu ihr. »Hier züchtet Lokondra seine nächste Armee heran.«
    »Du meinst … aus südloduunischen Kindern?« Sie weitete die Augen.
    Ich keuchte auf und rang nach Atem, aber die Luft wollte einfach nicht mehr meine Lungen erreichen. Hell deutete dieses Anzeichen zu Recht als den Beginn eines hysterischen Anfalls. Er zog mich an sich und verbarg mein Gesicht schützend hinter dem Revers seiner Jacke. »Sieh nicht hin. Sieh da bloß nicht länger hin. Du musst dich jetzt auf das, was vor dir liegt, konzentrieren.« Fürsorglich streichelte Hell mir über den Rücken. »Wir müssen weiter«, flüsterte er beschwichtigend in mein Haar.
    Sie einfach da drinnen lassen und weitergehen?
    »Ich weiß, es ist schlimm.« Er legte die Wange an meine Schläfe und strich mir über den Rücken. »Aber wenn du Lokondra aufhalten willst, musst du zuerst die Wächter retten.«
    So sah er das also? Deshalb hatte er mir den Weg gezeigt, nicht wegen Mirjam.
    »Luna hatte eine Eingebung«, erklärte er. »Die kleine Südloduunerin sieht viel besser, als sie glaubt.«
    »Und was hat sie gesehen?«, fragte ich vorsichtig. Aber Hell schüttelte nur mit dem Kopf.
    »Komm«, sagte er, und da ich mich noch immer nicht regen konnte, nahm er meine widerstandslose Hand. »Komm mit.« Er lenkte mich weiter den verschlungenen Waldweg entlang. Die anderen folgten uns.

    Als wir an diesem Abend unser Nachtquartier in einem Gestrüpphain aufgeschlagen hatten, saß ich wortlos an einen Stein gelehnt. Meine Gedanken kreisten fortwährend um die vielen Kinder, die in dem Domestikationslager, wie Hell es genannt hatte, zu folgsamen Drohnen initiiert und ausgebildet wurden. Die Gewissheit war einfach nur erschütternd. Drohte Tony das gleiche Schicksal? War er vielleicht sogar dort? Und ich, ich war daran vorbeigegangen!
    Ich dachte an Hell und das, was er noch zu mir gesagt hatte, bevor er sich neben Mirjam schlafen legte: »Ja, Mia, so ist das derzeit in meinem Land. Du stehst oftmals vor der Entscheidung, ob du dich jetzt aufgibst, weil du dein Leben so nicht mehr aushältst, oder ob du eisern deinen Weg weitergehst.«

    Am nächsten Morgen, als wir unser Nachtlager räumten, schmerzten meine Glieder nicht vor Kälte, sondern weil ich kein Auge zugemacht hatte. Träge stopfte ich meine Decke in den Rucksack, als ein Rascheln im Gebüsch mich aus den Gedanken zurückholte.
    Moment mal! Bildete ich mir das ein? Oder war da eine Gestalt zwischen den Zweigen? Auch Hell und Mirjam