Sternenstaub
dahinter stand. Dann gewöhnten sich meine Augen an das dämmrige Licht. Aber was ich sah, ließ meine Kopfhaut prickeln. Dieser Raum hatte etwas von einer mittelalterlichen Folterkammer. Und dann entdeckte ich ihn. Iason. Sein Anblick war wunderschön und unendlich quälend zugleich. Ihn so zu sehen, zerschnitt mir das Herz. Man hatte ihm die Wächterjacke und das T-Shirt ausgezogen und sein Körper war über und über von Striemen gezeichnet. Sein Kinn lag schlaff auf der freien Brust und er stützte sich mit einer Hand an der Wand ab. Die andere hatten sie an einer Kette mit einem Flaschenzug nach oben gezogen. Lokondra, dieser Perversling, glaubte er etwa, solche Methoden wären heute auf der Erde noch gängig? Stellte er es sich so etwa vor? Ich stürzte auf Iason zu.
Mühsam hob er den Kopf und blinzelte mich an. Sein Gesicht und der Oberkörper waren von einem glänzenden Schweißfilm bedeckt. »Nein«, keuchte er. »Bitte sag, dass das nicht wahr ist.«
Darauf ging ich gar nicht ein. Ich hastete zur Winde und drehte sie, wodurch sich die Kette löste, die seinen Arm nach oben zog.
»Sieh mich nicht so an. War ihre Idee«, antwortete Mirjam, die mit ihrem Laserpickelentferner das Schloss der breiten Schelle um sein Handgelenk knackte.
Der fehlende Halt ließ ihn schwanken und ich stabilisierte ihn. »Schaffst du es zu gehen?« Hilfe, war der schwer.
Mit einer schwachen Kopfbewegung deutete er auf seine rechte Hand, die auf Höhe seiner Schulter an der Wand lag.
Erst da erkannte ich, dass jemand sie an die Wand genagelt hatte.
Entsetzt presste ich die Hand auf den Mund.
Mirjam wurde käseweiß und flüchtete würgend aus dem Zimmer.
Benommen suchte er meinen Blick. »Lokondra liebt es, eure irdischen Foltermethoden mit unseren zu kombinieren.« Er setzte nach jedem zweiten Wort ab, so viel Kraft kostete ihn das Sprechen. Aber da lag noch etwas anderes in seiner Stimme. Beinahe etwas Entschuldigendes. Weil ich es sehen musste? Oh, Iason. Mein geliebter Iason.
»Kannst du ihn rausziehen?«
Was? Ich schluckte und mir quollen die Augen hervor. »Ich soll …?«
»Die Wand wirkt wie ein Magnet auf mich. Sie entzieht mir die Energie, darum kann ich es nicht selbst …« Schmerzgequält verzog er das Gesicht. »Bitte, Mia … ich bin kaum noch in der Lage zu …«
»Schon gut«, unterbrach ich ihn ungewollt laut. »Schon gut. Ich schaff das.« Reiß dich zusammen! , sagte ich mir. Die Panik saß mir im Nacken. In den Knochen. Überall. Mit zitternden Fingern berührte ich die Stelle an seiner Hand, in der der Nagel steckte.
Ich zwang mich, nicht weiter darüber nachzudenken und zog. Mit einem schlürfenden Geräusch schoss meine Magensäure nach oben. Als Iason ein gequältes Stöhnen ausstieß, ließ ich reflexartig den Nagel los, der nun etwa einen Zentimeter herausgerutscht war. Keuchend drückte er die Stirn gegen die Wand.
Hysterisch fuhr ich mir mit gespreizten Fingern durchs Haar. »Tut mir leid, tut mir leid!«
»Mia, schneller!«, presste er durch die zusammengebissenen Zähne.
Da gab ich mir einen kräftigen Ruck und mein Kopf schaltete dem Himmel sei Dank in einen rationalen Funktionsmodus. Ich tat es. Mit einem Zug hatte ich das Teil in meinen Händen.
Ich starrte kurz den stiftlangen Nagel an. Und dann starrte ich Iason an, der jetzt stöhnend auf die Knie sackte – und dann zur Seite umfiel.
Mit einem hellen Schrei stürzte ich neben ihm auf die Knie. »Iason!«
Oh mein Gott.
Oh – mein – Gott!
»Iason.«
Mirjam kam herein. »Was ist …?« Als sie Iason sah, eilte sie an seine andere Seite. »Mia! Was hast du getan?«
Es war, als hätte die Welt aufgehöhrt, sich zu drehen.
»Ias«, sprach Mirjam ihn an. »Ias, kannst du mich hören?«
Seine Augen starrten geradezu irdisch stumpf zur Decke. Keine Diamanten, kein Strahlen. Nichts.
Als ich nach seiner Hand griff und der gewohnte Gegendruck ausblieb, entfuhr mir von ganz tief drinnen ein Wimmern. Mit bebenden Fingern strich ich ihm das seidene Haar aus dem Gesicht.
Keine Regung.
Hatte ich ihn umgebracht? Gott! HATTE ICH IHN UMGEBRACHT???
37
I ason.« Zitternd nahm ich sein Gesicht in die Hände und kam ihm näher, um irgendein Lebenszeichen darin zu finden. Ein flacher, kaum spürbarer Atemzug erreichte mich. Er lebte noch.
Noch! Und es gehörte bestimmt nicht zu meiner Ich-wehre-mich-gegen-das-Schicksal-Taktik, hier seinen Tod abzuwarten, nur weil Lokondra so ein dämliches übergeordnetes ShakrA
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