Sternenstaub
iCommplete aus der Hand.
Er schrieb: Damals, als das Loduuner Tribunal die Beziehung meiner Eltern verbot, hat mein Vater sich dem Druck seines Clanrats gebeugt. Sein Sinn war es schließlich, sein Volk aus einer Zeit des Elends zu führen. Und so sah er sich gezwungen, seine Aufgabe als Clanoberhaupt wahrzunehmen. Er wusste, er könnte seinen Clan retten, Mia. Und so hat er sich schweren Herzens gegen seine Familie entschieden.
Meine Eltern beschlossen, dass ich dennoch auf Loduun aufwachsen sollte, aus der Angst heraus, meine Fähigkeiten könnten womöglich auf der Erde verkümmern.
Ich nahm den iCommplete an mich und schrieb: Was ja aber nicht gestimmt hat, wie du jetzt weißt. Deine Gabe funktioniert auch auf der Erde bestens.
Und er schrieb: Trotzdem bestand die Gefahr. Er zuckte mit den Schultern. Natürlich war das alles nur Spekulation. Damals gab es ja noch kein loduunisch-irdisches Paar außer ihnen, zumindest keines, das ein Kind zusammen hatte.
Ich schrieb: Schon klar. Aber was ist dann passiert?
Er nahm den iCommplete an sich und schrieb weiter. Meine Mutter und ich zogen in eine kleine Unterkunft, ganz in der Nähe des Clans und mein Vater sorgte dafür, dass es uns materiell und medizinisch an nichts mangelte. Immer wieder erklärte meine Mutter mir, wie wichtig mein Vater für seinen Clan war, dass die Leute ihn brauchten, um diese schlimme Zeit zu überleben, und dass wir ihm besser beide, so gut es ging, aus dem Weg gehen sollten, damit er sich auf seinen Sinn konzentrieren konnte.
»Und das hast du einfach so hingenommen«, fragte ich ihn fassungslos und leise wie ein Hauchen.
Mahnend bedeutete er mir, den iCommplete zu benutzen. Und dann schrieb er: Als ich kleiner war, glaubte ich ihr. Auch wenn meine Mutter Irdin war, so kannte sie doch die loduunische Lebensweise. Aber später begann ich langsam zu zweifeln. – Du weißt, wie es ist, wenn sich der eigene Dad einer Sache mehr verschreibt als seinen Vaterpflichten; wie es sich anfühlt, wenn man glaubt, nicht geliebt zu werden.
Als ich das las, berührte es etwas ganz tief in meinem Innern. Er bewegte sich, dieser ganz stille und doch so tiefe beständige Schmerz, als würde er sich im Schlaf auf die andere Seite drehen und mich so daran erinnern, dass es ihn gab. Ja, ich wusste genau, was er meinte.
Was hast du dann gemacht? , schrieb ich.
Und er schrieb: Ich habe unsere Begegnungen provoziert. Sooft es mir gelang, habe ich mich in die Siedlung geschlichen und jede Versammlung aufgesucht, in der er zum Clan sprach. Ich habe vor seinem Haus gewartet, bis er nach draußen kam. Und wenn ich ihn traf, habe ich ihn einfach nur angesehen. Ich … ich wollte ihn an mich erinnern.
Ich stellte mir einen kleinen dunkelhäutigen, schwarz gelockten Jungen mit großen braunen Augen vor, wie er an jeder erdenklichen Häuserecke auf seinen Dad wartete, wobei er jedes Mal enttäuscht zurückgelassen wurde, weil dieser gezwungen war, an ihm vorbeizugehen, als würde er ihn nicht kennen. Das weckte in mir solch ein Mitgefühl, dass ich meine Hand an seinen Arm legte und ihm aufmunternd zulächelte.
Und er schrieb: Die Folge war, dass mein Vater sehr litt, was sich, ob er wollte oder nicht, automatisch auf die Willenskraft niederschlug, mit der er seinem Sinn nachkam. Heute weiß ich: Es brach ihm das Herz!
Bert machte ein leises Geräusch, es klang wie ein unterdrücktes Räuspern. Dann fuhr er fort: Damit mein Vater nicht ständig dieser zerreißenden Situation ausgesetzt war und er so funktionieren konnte, wie es sein Platz als Clanoberhaupt von ihm verlangte, beschloss der Clanrat, meine Mutter und mich auszuweisen. Mein Vater musste den Mehrheitsentscheid unterzeichnen, wenn er Clanoberhaupt bleiben wollte, und so ist meine Mutter mit mir allein zur Erde geflogen. Ich war damals neun Jahre alt und kannte nichts auf eurem Planeten.
Deshalb habe ich meinem Dad, kurz bevor wir ins Raumschiff gestiegen sind, das Gewissen wie einen Spiegel vor das Gesicht gehalten. Und zwar meine kindliche Version davon.
Bert ließ den iCommplete sinken und lehnte sich mit dem Kopf an die Wand, als müsste er kurz um Fassung ringen, danach tippte er weiter.
Wir sind dann zwar allein geflogen, aber mein Vater begann zu bereuen. Jeden Tag hat ihn die Sehnsucht nach uns mehr zerfressen. Und als er sein schlechtes Gewissen nicht mehr aushielt, ist er uns gefolgt.
Berts Finger lag zögernd auf der Tastatur und ich fragte mich, was daran es ihm denn jetzt so schwer
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