Sternenzitadelle
eine Schlange, die vor ihm floh. Er stieß einen klagenden Schrei aus, dann begann er mit seinem vorderen Paar Klauen zu graben. Unter jedem seiner kraftvollen Schläge zerfielen die Korallen zu Staub, ganze Stücke zerbrachen mit einer Heftigkeit, dass der gesamte Schild erbebte. Auf diese Weise schreckte er schnell die Schlange auf. Das Reptil versuchte, ihn in den Hals zu beißen, aber der Drache hüpfte zurück und ging zum Gegenangriff über. Er hob den Vorderlauf und schmetterte ihn der Schlange auf den Kopf. Dann packte er sie mit seinen Klauen und flog davon, bis er nur noch ein kleiner Punkt im Blau des untergehenden Gestirns Xati Mu war.
»Tau Phraïm!«
Oniki stand auf, strich automatisch eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht und betrachtete den großen Krater, den der Vogel gegraben hatte. Es war heiß in der roten Sonne Tau Xirs, die jetzt mit aller Kraft vom Himmel brannte.
Sie begriff, dass nichts und niemand diese Ungeheuer von ihrem Werk der Zerstörung abhalten konnte. Die Feinde
ihres geliebten Prinzen waren in die Offensive gegangen und zögerten nicht, das sensible ökologische Gleichgewicht Ephrens zu zerstören. Da sie die Wachsamkeit der Korallenschlangen nicht beeinträchtigen konnten, hatten sie diese fürchterlichen geflügelten Tiere kommen lassen, um ihre Beschützerinnen auszumerzen. Wenn ihre Feinde in der Lage waren, zu derartigen Mitteln zu greifen, um eine Frau und ein Kind gefangen zu nehmen – und wahrscheinlich damit ihren Geliebten zu erpressen –, ging es bei diesem Kampf um viel, viel mehr als sie sich vorstellen könnte.
Tränen traten ihr in die Augen. Wo ist Tau Phraïm, fragte sie sich bange. Haben die Bestien ihn getötet? Oder hat er sich verstecken können? Wer kann wissen, wie er reagieren wird? Selbst ich, seine Mutter, verstehe ihn nicht. Immer mehr ähnelt er seinem Vater. Von ihm hat er die schönen dunklen Augen und das üppig gelockte braune Haar. Er spricht kaum, denn er hat sich die Sprache der Reptilien angewöhnt, eine geheimnisvolle Körpersprache, die kaum zum Reden ermuntert. Sicher, er ist kein einfaches Kind, aber sollte ich ihn verlieren, hätte ich keine Kraft, weiterzuleben.
»Tau Phraïm!
Von plötzlicher Panik ergriffen, begann Oniki zu laufen. Mit einem Satz sprang sie über Abgründe, umrundete die scheußlichen, über ihre Beute gebeugten Ungeheuer, die kaum noch Widerstand leistete.
Der Korallenschild wurde von immer heftigerem Beben erschüttert. Sie stolperte mehrmals über zerbrochene Korallen und schürfte sich Arme und Beine auf. Doch ihre Mutterliebe trieb sie weiter.
Sie beugte sich über einen der Hauptgänge, den sie vor
ein paar Tagen gereinigt hatte, und rief: »Tau Phraïm! Tau Phraïm!«
Ihre Stimme hallte an den Wänden wider und erstarb im Licht Tau Xirs, das einen roten Kreis auf die Wellen des Ozeans Gijen malte. Sie überprüfte andere Röhren, lief über den Schild, bis sie außer Atem und so erschöpft war, dass sie wieder weinen musste.
Wird das Schicksal so grausam sein, mir meinen Sohn zu nehmen, nachdem es mir bereits meinen geliebten Prinzen genommen hat?
Eine nach der anderen starben stumm die Schlangen, und die großen Mordvögel trugen ihre Leiber davon.
Da erschütterte ein mächtiger Stoß den Korallenschild. Oniki fühlte den Boden unter sich wanken. Doch sie hatte nicht mehr die Kraft, sich zur Seite zu werfen. Wie ein Stein fiel sie in den nun offenen Spalt. Aber der Überlebenswille um ihres Sohnes willen siegte. Ihre Finger schlossen sich um Vorsprünge, klammerten sich daran, auch wenn sich die scharfen Kanten tief in die Haut einschnitten. Unter sich sah sie die schaumgekrönten Wellen des Ozeans Gijen. Ihr Herz schlug wie rasend. Irgendwie musste ihr der gefährliche Abstieg gelingen. Sie biss die Zähne zusammen und tastete blindlings nach Vorsprüngen, die schmerzhaft in ihre Füße schnitten. Auch ihr Körper blieb von Abschürfungen und Wunden nicht verschont. Bald blutete sie an vielen Stellen. Sie hatte das Gefühl, sich von der Schulter bis zum Knie verletzt zu haben. Es tat höllisch weh. Doch dann vergaß sie für kurze Zeit ihre Qualen und glaubte, ihren Körper verlassen zu haben: Eine ungeheure Erleichterung überkam sie, ein Gefühl unendlicher Freiheit.
Aber heftige Böen des salzigen Windes rissen sie aus
ihrer Euphorie und konfrontierten sie wieder mit der Realität. Während des Abstiegs zerbrachen immer mehr Korallen. Noch ein paar Meter, und sie würde das Ende des Spalts
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