Sternenzitadelle
erreicht haben, unter sich das brodelnde Meer. Dann wäre sie verloren.
Oniki streckte ihren freien Arm aus und versuchte, sich an die herunterhängenden Flechten zu klammern. Obwohl sie glitschig waren, verbrannten ihr diese lianenartigen Gebilde die Handfläche. Sie wollte schon aufgeben, aber vor ihr tauchten die Gesichter Tau Phraïms und ihres geliebten unbekannten Prinzen auf, so als eilten sie in Gedanken zu ihrer Rettung herbei.
Je weiter sie abstieg, umso dichter wurden die Flechten, schmiegten sich um ihre Arme und Beine. Einige rissen unter ihrem Gewicht, andere hielten ihm stand. Dann fiel sie noch einmal und prallte so hart auf, dass sie glaubte, sich sämtliche Knochen gebrochen zu haben. Ehe sie ohnmächtig wurde, fühlte sie, wie eine heiße Flüssigkeit zwischen ihren Schenkeln rann.
Einige Minuten später erlangte Oniki wieder das Bewusstsein. Wie eine leblose Puppe hing sie in den ineinander verwobenen Flechten über dem Ozean Gijen.
Sie litt unerträgliche Schmerzen, sowohl körperlich als auch seelisch, und hatte nicht mehr die Kraft, auch nur den Kopf zu bewegen, um festzustellen, wo genau sie sich befand, wie schwer sie verletzt war und ob sie noch auf dem Korallenschild oder in dessen Nähe war. Korallensplitter steckten in ihrer Schulter, Hüfte und den Händen.
Mit dem Kopf nach unten blieb sie geraume Zeit – die Dauer konnte sie nicht abschätzen – in dieser Position hängen. Ihr Herz schlug rasend, schmerzhaft. Als sie endlich
den Kopf bewegen konnte, sah sie, dass sie etwa zehn Meter unterhalb des Schilds hing – eine für sie unüberwindliche Distanz. Der Meerwind und die Stolzen Winde brachten das Netz der Flechten leicht zum Schaukeln.
Oniki hörte in der Ferne ein leises Brummen. Zuerst glaubte sie, die geflügelten Monster seien zurückgekehrt, und zuckte zusammen, was ihre Schmerzen noch verstärkte. Plötzlich fiel ihr ein, dass ihr Sohn vielleicht das Opfer eines dieser mörderischen Ungeheuer gewesen sein könne; und dieser Schmerz war noch größer als ihre körperlichen Leiden.
Das Brummen wurde lauter. Automatisch ordnete sie dieses Geräusch den Aquakugeln zu, die zwischen dem Kontinent und der Insel Pzalion verkehrten. Dann sah sie einen näher kommenden Personenair mit einem glänzenden Kreuz über dem Cockpit.
Der Personenair der Kirche des Kreuzes.
»Sie ist in einem erbarmungswürdigen Zustand!«, sagte ein Mann, dessen Stimme durch die Maske verzerrt klang.
»Sie lebt, das allein zählt«, antwortete eine Gestalt mit metallisch klingender Stimme.
»Und wie lange noch? Sie hat viel Blut verloren, und im Gesicht, an einem Arm und einem Bein tritt der blanke Knochen hervor. Vielleicht wäre es besser, sie gleich zu töten …«
»Nein. Denn lebendig wird sie uns noch nützlich sein.«
»Und ihr Sohn?«
»Von dem haben wir keine Spur.«
»Er wurde vielleicht von den Schlangenfressern getötet?«
»Die Bändiger haben uns versichert, dass ihre Tiere keine Menschen töten, es sei denn, sie geben ihnen den Befehl
dazu. Wahrscheinlich hat sich der Junge in irgendeinem unzugänglichen Bereich des Korallenschilds versteckt. Doch da er nicht mehr von den Riesenschlangen beschützt wird, finden wir ihn früher oder später.«
Oniki hatte alles gehört. Erst jetzt schloss sie die Augen und entspannte sich, ließ sich in die Bewusstlosigkeit hinabgleiten, weil sie wusste, dass Tau Phraïm den mörderischen Bestien entkommen war – und den Feinden ihres Prinzen.
Kurz zuvor war der Personenair gelandet. Zwei weiß maskierte Männer hatten die junge Frau in das Fluggerät getragen, sie auf eine Bank gelegt und zugedeckt, nachdem sie das Geflecht mit grünen Strahlen zerstört hatten.
Der Transport, die Vibrationen hatten den Schmerz wiederkehren lassen, der sie bei dem geringsten Anlass aufs Neue quälte. Sie war bewusstlos geworden, aber Stimmengewirr hatte sie erneut geweckt.
Doch nun konnte sie sich ganz ihrer Erschöpfung und ihrem Kummer hingeben.
Die Orgie der Schlangenfresser hatte erst vier Tage später ein Ende, nachdem sie alle Korallenschlangen getötet hatten. Gleich einem mächtigen Geschwader erschienen die Drachen über Koralion, was eine Panik in der Hafenstadt auslöste. Als sie auf dem Kai aufgesetzt hatten, wurden sie von ihren Dompteuren mit Peitschenhieben in die Käfige getrieben.
Die Fischer und die Mitglieder der Pylon-Innung, deren Aufgabe es war, für die Stabilität des Schutzschilds zu sorgen, baten bei Kardinal
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