Sternenzitadelle
nach dem anstrengenden Reinigen der Rohrwerke tat, sondern war so tief in Gedanken versunken gewesen, dass sie jeden Kontakt mit der Wirklichkeit verloren hatte. Die Strahlen der beiden Gestirne Xati Mu und Tau Xir verbreiteten ein diffuses mauvefarbenes Licht in ihrem Nest.
Je mehr Zeit verging, umso tiefer fühlte sie sich mit jenem geheimnisvollen Mann verbunden, der damals in ihrer
Klosterzelle erschienen war und sie zur Frau und Mutter gemacht hatte. Manchmal spürte sie seine Gegenwart mit so großer Intenistät, dass sie glaubte, seinen Atem auf ihrem Körper zu spüren. Und im tiefsten Inneren wusste sie, dass er sie nicht vergessen hatte, dennoch durchlebte sie oft Phasen heftiger Verzweiflung.
Sie richtete sich auf, alle Sinne aufs Äußerste angespannt. Außer den angsterregenden Schreien hörte und spürte sie ein beunruhigendes Beben.
Furcht schnürte Oniki das Herz zu. Sie stand auf und warf einen Blick in das Nebenzimmer, wo Tau Phraïm schlief. Es war leer, obwohl sie ihn nicht hatte weggehen hören. Der Korallenschild erbebte immer heftiger, so als würde er gleich in sich zusammenstürzen.
Nahezu wahnsinnig vor Sorge schlüpfte Oniki in ihr Kleid und kroch in den engen Gang, der auf das Dach des Schilds führte. Spitze Vorsprünge ritzten ihr die Haut an Armen und Beinen auf, und sie musste mit ungewohnter Vorsicht weiterkriechen, um sich nicht an abgebrochenen Korallenästen aufzuspießen.
Oniki ahnte, dass der Aufruhr den Feinden ihres geliebten Prinzen zu verdanken war, diesen Männern mit den weißen Masken und diesen Kreaturen in den Kapuzenmänteln, die die Insel Pzalion besetzt hatten. Vor zwei Jahren hatte sie gesehen, wie diese Individuen ihre ehemaligen Gefährten – die auf die Insel Verbannten – mit ausgestrecktem Arm, aus dem sich ein rundes, blinkendes Wurfgeschoss löste, dahingemetzelt hatten. Ströme von Blut hatten sich in den schwarzen Ufersand ergossen.
Wie gelähmt hatte Oniki dem Massaker von einem der Korallenpfeiler, hoch über der Insel, zusehen müssen. Schließlich hatten die Weißmaskierten die Toten mit grünen
Strahlen bombardiert, bis nur ein Häufchen Asche übrig geblieben war, das bald der Wind verwehte.
Sie schwang sich auf das Dach des Korallenschilds und suchte sofort nach der vertrauten Gestalt ihres Sohnes Tau Phraïm. Doch sie brauchte ein paar Sekunden, bis sie in dem Dunst undeutlich ineinander verschlungene und sich bewegende Wesen erkennen konnte.
»Tau Phraïm!«
Ihr lauter Schrei ging in dem Getöse unter. Eine etwa zehn Meter lange Schlange tauchte plötzlich aus den Nebelschwaden auf und glitt in den Gang, der zu ihrem Nest führte. Ein riesiger Vogel flog wie aus dem Nichts herbei, stürzte sich auf sie und grub seine Klauen in ihren Körper.
Entsetzt wich Oniki zurück.
Die Schlange wand sich, schlug mit dem Schwanz. Vergebens. Der monströse Vogel aber schlug mit den Flügeln und zerrte seine Beute aus ihrem Unterschlupf. Dann zermalmte er mit seinem Schnabel den Kopf des Reptils.
Jetzt merkte die junge Frau, dass sich ähnliche Szenen überall um sie herum abspielten. Hatten die Vögel eine Schlange getötet, stießen sie eine Art Triumphgeschrei aus und flogen mit dem leblosen Körper ihrer Beute davon.
»Tau Phraïm!«
Ihr Sohn pflegte im Rachen einer dieser Korallenschlangen, die seine Freundinnen waren, die Umgebung zu erkunden. Vielleicht hat eines dieser scheußlichen geflügelten Tiere die Schlange attackiert, die ihn spazieren trägt, überlegte sie. Von einer dunklen Vorahnung ergriffen, versuchte Oniki noch einmal im Nebel etwas zu erkennen, konnte aber nur undeutlich die Bewegungen der miteinander kämpfenden Tiere ausmachen.
Kurz war sie wie gelähmt, unfähig, eine Entscheidung
zu treffen. Warum kam ihr ihr Prinz, der Mann ihres Herzens, nicht zu Hilfe? Denn er hätte sie beide aus dieser bedrohlichen Lage befreien können, dessen war sie sicher.
Sie ging ein paar Schritte, doch die Korallen zerbrachen unter ihrem Gewicht, so dass sie strauchelte und auf den Rücken fiel. Über ihr schwebte ein großer Vogel, mit starrem Blick und ausgestreckten messerscharfen Fängen. Sie glaubte, dass er sie töten wolle, und hoffte gleichzeitig, das Ganze wäre nur ein böser Traum, aus dem sie sofort erwachen würde, Tau Phraïm in ihren Armen.
Doch das Ungeheuer landete unbeholfen ein paar Meter entfernt. Abgebrochene Korallenstücke spritzten in alle Richtungen davon. Die junge Frau interessierte den Mordvogel nicht, aber
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