Sternhagelgluecklich
tatsächlich glücklicher sein als wir? Wir können es kaum glauben – auch weil wir es nicht glauben wollen.
Ich frage ihn, ob er sich selbst als glücklich bezeichnen würde. Er antwortet, ohne eine Sekunde zu zögern, so als hätte ich ihn nach seinem Geburtsdatum oder seiner Augenfarbe gefragt: »Oh ja, ich bin sehr glücklich«. Sein Tonfall ist frei von Bescheidenheit, aber ebenso frei von Stolz. Es ist eine sachliche Feststellung. »Viele Menschen aus meinem Umfeld sagen, dass ich der glücklichste Mensch sei, den sie kennen. Aber ich bemühe mich gar nicht, glücklich zu sein. Glück und Zufriedenheit sind nicht meine Ziele, meine Motivation. Das Glück kommt automatisch durch meine Art zu leben, durch meine Rekorde und meine Meditation.« Aber vermisst er nicht manchmal eine Frau und eine Familie? 18 »Manchmal schon. Wie stark diese Sehnsucht ist, ist für mich ein Sensor, wie gut meine Meditationen klappen. Wenn ich gut meditiere, fehlt mir das alles nicht. Und so ist es ja auch gedacht: Auf dem Weg zur spirituellen Erleuchtung steht ein Partner oder eine Familie nur im Weg.«
So sympathisch Ashrita mir ist und so lustig ich seine Jagd nach Weltrekorden finde, so fremd bleibt mir jedoch auch nach seinen positiven Schilderungen die Welt seines Gurus Sri Chinmoy. Es gibt vermutlich gefährlichere Religionsgemeinschaften oder Sekten. Aber die Mischung aus Gewichtheben, naiver Malerei und strenger Geschlechtertrennung will sich mir nicht als der wahre Weg zur Glückseligkeit erschließen.
Meditation an sich scheint mir allerdings grundsätzlich ein guter Ansatz. Ihre positiven Auswirkungen sind in zahlreichen unabhängigen Studien empirisch belegt. Es klingt zunächst einfach: stillsitzen und sich auf eine einzige Sache konzentrieren. Das kann der eigene Atem, ein Bild oder ein Wort sein – aber auch Gebetsperlen oder ein Rosenkranz. Wer über einen längeren Zeitraum täglich meditiert, ist – so das Ergebnis wissenschaftlicher Studien – zufriedener und selbstbewusster, verspürt weniger Angstgefühle, hat ein besseres Gedächtnis und Einfühlungsvermögen.
Sogar das Immunsystem wird durch Meditation gestärkt. Das fand eine Untersuchung der University of Wisconsin heraus, bei der Freiwillige nach dem Zufallsprinzip in eine Meditations- und eine Kontrollgruppe eingeteilt wurden. 19 Nach acht Wochen bekamen beide Gruppen eine Grippeschutzimpfung. Bei den Mitgliedern beider Gruppen bildeten sich daraufhin Antikörper im Blut. Bei den Personen, die für acht Wochen meditiert hatten, schlug die Impfung jedoch deutlich besser an, und es bildeten sich mehr Antikörper als bei der nicht meditierenden Kontrollgruppe. Der amerikanische Psychologieprofessor Jonathan Haidt schreibt in seinem Buch »The Happiness Hypothesis« 20 : »Stellen Sie sich vor, Sie lesen von einer Pille, die man einmal am Tag nimmt und die Sie weniger ängstlich und dafür zufriedener sein lässt. Würden Sie sie nehmen? Nehmen wir an, dass die Pille jede Menge Nebenwirkungen hat, aber nur positive: Sie sind selbstsicherer, haben mehr Vertrauen in andere Menschen und in sich selbst, sogar Ihre geistigen Leistungen verbessern sich. Nehmen wir außerdem an, die Pille wäre komplett natürlich und absolut kostenlos. Würden Sie sie jetzt nehmen? Diese Pille existiert tatsächlich. Sie heißt Meditation.«
Flipperkugeln auf Espresso
Nicht nur Haidt, auch zahlreiche andere Forscher bestätigen die Wirksamkeit von Meditation. Je länger ich mich damit beschäftige, umso sicherer scheint mir: Ich kann es mir als Glückssuchender im Grunde gar nicht erlauben, nicht zu meditieren. Es soll ganz einfach sein – lernen muss man es dennoch. Da ich noch ein paar Tage in New York verbringen werde, suche ich im Internet nach einem Meditationskurs für Einsteiger.
Beinahe jeden Tag wird irgendwo in der Stadt ein solcher Kurs angeboten. Am frühen Abend mache ich mich auf den Weg zu einem, der einigermaßen in der Nähe stattfindet. Während mich die U-Bahn-Linie F durch Manhattan schaukelt, lese ich die Werbeplakate im Waggon. Überall wird das Glück beschworen: Kaufe dieses Auto, trinke dieses Bier, komm zum großen Ausverkauf in unser Warenhaus – und du wirst so fröhlich lachen wie die sorgfältig inszenierten und mit Photoshop nachbearbeiteten Models hier auf diesem Foto.
Die Karibikinsel Aruba wirbt mit dem Slogan »Eine glückliche Insel« und hat eine ganz Plakatserie mit Happyisms, also »Glückssprichwörtern« gestartet. »Die
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