Sternhagelgluecklich
offiziell internationaler Geschäftsmann, starb bei einer Herzoperation, als Josh fünfzehn Jahre alt war. Heute würde man bei einem Kind, wie Josh Harris es war, unter Umständen das Asperger-Syndrom diagnostizieren – jene abgeschwächte Form des Autismus, die emotionale Bindungen zu Mitmenschen und das Erkennen nonverbaler Signale erschwert, häufig aber mit hohen Konzentrations- und Gedächtnisleistungen zusammentrifft.
Nur ein einziges Mal ließ Josh Harris eine Frau in sein Leben: Ihr Name war Tanya Corrin, und er lernte sie als Moderatorin bei seinem Internetsender Pseudo.com kennen. Zahlreiche der kleinen Videoclips, die Harris als Dokumentation seines Lebens auf seinem alten Computer gespeichert hat und aus denen sich sein Leben zusammensetzt, zeigen die beiden glücklich: spielerisch verliebt, beim Sex unter der Bettdecke, beim Essen. Aber selbst davon distanziert er sich heute. »Ich habe sie für eine Rolle gecastet«, sagt er nüchtern. »Für die Rolle der perfekten Freundin. Es war ihr Pech, dass sie sich in mich verliebt hat.«
Wir waren mal Stars
Die kurze glückliche Zeit, die Tanya und Josh gemeinsam verbrachten, fand während eines der Experimente statt, für die Josh Harris berühmt wurde, vielleicht auch eher: berüchtigt. Seine letzte extravagante Veranstaltung war gerade von der Polizei abgebrochen worden: Zur Jahrtausendwende hatte er hundert Menschen zu einer einmonatigen Party in einen unterirdischen Bunker unter dem Broadway eingeladen – und hatte sie dabei permanent von Kameras überwachen lassen.
Später wollte Harris in intimerer Umgebung selbst testen, wie es sich lebte, wenn jede Bewegung, die man machte, öffentlich würde. Er mietete ein Dreihundertsiebzig-Quadratmeter-Luxusloft für sich und Tanya an und ließ es bis in den hintersten Winkel mit zweiunddreißig beweglichen Kameras ausstatten. Die Kamerabilder streamte Harris auf der Webseite weliveinpublic.com ins Internet. Das Liebespaar ließ sich auf der Toilette filmen, beim Küssen, beim Streiten, beim Abwasch und bei der Arbeit. Die Zuschauer mussten dafür bezahlen, konnten aber wiederum per Chat mit Josh und Tanya kommunizieren, ihnen verraten, wo die verlegten Schlüssel lagen (zu Beginn) oder sie zum Spaß gegeneinander aufwiegeln (nicht viel später).
»Anfangs haben wir uns gefühlt wie Stars«, erinnert sich Harris heute. »Die Zuschauer haben die Aufzeichnungen einzelner Szenen unseres Lebens nachbestellt und gesammelt, damals noch auf Videokassette.« Doch irgendwann wurde der Druck zu groß. Der Druck auf die Dotcom-Blase, die mit lautem Knall platzte – und der Druck auf Josh Harris’ Verstand. Bei jedem Telefonat mit seiner Bank waren seine Anteile an Pseudo und Jupiter ein paar Millionen weniger wert als vorher, Tanya zeigte ihm die kalte Schulter, und gehässige Zuschauer stifteten sie an, ihn nachts auf die Wohnzimmercouch zu verbannen. »Dazu das permanente Surren der Kameras, die sich auf einen richteten, sobald man das kleinste Geräusch von sich gab – es war die Hölle!«
Parallel zu den Aktienkursen sanken auch die Zuschauerzahlen von Weliveinpublic.com. »Zu Anfang hatten Tausende zugesehen, am Ende vielleicht noch ein Dutzend«, gibt Harris zu. »Irgendwann hatte ich einen Nervenzusammenbruch, und Tanya zog aus.« Einundachtzig Tage hatte das Experiment des öffentlichen Lebens gedauert. Das persönliche Glück der Zweisamkeit hatte Harris dem Wunsch nach Ruhm geopfert – vielleicht auch seinem Forscherdrang.
Ohne Freundin und beinahe ohne Geld floh Harris aus New York auf eine Apfelfarm außerhalb der Stadt, die er sich von seinen letzten Ersparnissen gekauft hatte. Dort versuchte er die nächsten fünf Jahre, sich in der Anonymität zu erholen. Von der enttäuschten Liebe, die offiziell keine war. Von dem Wissen, achtzig Millionen Dollar gewonnen und wieder verjuxt zu haben. Von den Drogen, den Partys, von den Businesstypen. Vielleicht auch von Luvvy. 2008 floh er schließlich nach Äthiopien – manche sagen: vor der Steuerbehörde. Er selbst behauptet: vor dem FBI , das angeblich seit den Anschlägen vom elften September hinter ihm her sei.
Seine Tage in der äthiopischen Dürre verbrachte Harris als Basketballtrainer für Schulkinder, kiffend und ohne echte Perspektive – aber zufrieden. Die Filmemacherin Ondi Timoner, die mit ihrer Kamera bereits bei dem Bunkerexperiment dabei gewesen war, spürte ihn dort schließlich auf, drehte mit »We Live in Public« eine Filmdokumentation
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