Sternhagelverliebt
Mary ist Romanautorin und heroinabhängig. Außerdem sind noch ein ziemlich bekannter Filmproduzent anwesend, ein ehemaliger Kinderstar – wenn man den Begriff »Star« sehr weit fasst –, ein Manager, ein aufstrebender Regisseur, ein Investmentbanker, zwei Anwälte und ein Richter. Ihre Süchte reichen von Alkoholismus bis hin zu Drogen, von denen ich noch nie gehört habe. Ich hatte zum Beispiel keine Ahnung, dass man nach der Einnahme von 50 Erkältungspillen Halluzinationen bekommt. Tja, das hat der Investmentbanker bis vor zwei Wochen jedenfalls täglich gemacht. Wer hätte das gedacht?
Als ich schon fast an der Reihe bin, klettert neben mir jemand auf den letzten freien Stuhl. Es ist DM V N . Amber Sheppard höchstpersönlich.
Sie trägt einen leuchtend grünen Trainingsanzug aus Samt, der zu ihren großen Augen passt, und ihr schwarzes Haar ist zu einem strengen Knoten auf dem Kopf hochgebunden. Sie sieht viel kleiner aus als im Fernsehen und ist sehr dünn. Sie trägt kein Make-up, doch angesichts ihrer Jugend und der Hege und Pflege, die sie bekommt, strahlt ihre Haut auch so. Sie sieht ein wenig seltsam, aber schön aus.
Außerdem verhält sie sich ziemlich seltsam.
»Amber, was machen Sie da?«, fragt Saundra, als DM V N sich barfuß auf die Sitzfläche ihres Stuhls hockt und die Arme vor sich abstützt.
»Nichts.«
»Wir haben doch schon darüber gesprochen, Amber.«
»Mein Name ist Polly, der Frosch.«
Das erklärt, warum sie so komisch auf ihrem Stuhl hockt. Und es erklärt die Zunge, die sie immer wieder rausstreckt.
Ich sehe mich um. Ein paar der Patienten lachen, doch die meisten wirken einfach verärgert.
»Das hier ist kein Schauspielkurs, Amber. Bitte setzen Sie sich richtig auf den Stuhl und stellen Sie sich vor.«
Wütende Röte überzieht Ambers Wangen.
»Also gut.«
Sie streckt die Beine aus und setzt sich. »Mein Name ist
Polly,
und ich bin ein Frosch.«
»Amber, bitte.«
»Okay, okay. Mein Name ist Amber.«
»Und warum sind Sie hier?«
»Weil ich von meinen Eltern verschleppt und gegen meinen Willen hierhergebracht worden bin.«
»Amber …«
»Also schön. Ich bin abhängig von Alkohol und Kokain.«
»Danke. Katie?«
Mein Herz hämmert wie verrückt. Ich habe es schon immer gehasst, in der Öffentlichkeit zu sprechen.
»Hi. Mein Name ist Katie. Ich bin Autorin und äh … Ich bin Alkoholikerin.«
»Hi, Katie!«, erwidert die Gruppe.
»Quak!«, sagt DM V N .
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5. Kapitel
Keine Ruhe dem Bösen
N ach der Gruppentherapie haste ich so schnell es geht zurück in mein Zimmer, damit ich so viel wie möglich von allem, was ich gerade erlebt habe, aufschreiben kann. Was würde ich nicht für ein Diktiergerät geben oder für eine dieser winzigen Kameras, die man in einem Brillengestell verstecken kann. Aber Bob hielt das für zu riskant. Also muss ich mich auf mein Erinnerungsvermögen verlassen, das nicht mal an guten Tagen besonders zuverlässig ist.
Meine Zimmergenossin beschert mir fast eine Herzattacke, als sie ohne zu klopfen hereinkommt. Eilig schlage ich mein Tagebuch zu und bemühe mich, möglichst locker zu wirken. Es fühlt sich an, als könnte man sehen, wie mein Herz in meiner Brust hämmert – wie in den alten Disney-Cartoons –, doch es scheint ihr nicht aufzufallen.
Amy ist groß wie ein Model und bildhübsch. Ihre Haut hat die Farbe von Toffee und passt zu ihren Augen. Ihre dunklen Haare sind gelockt und kinnlang. Nachdem ich mich vorgestellt habe, beginnt sie mit der Gelassenheit eines Menschen, der schon länger hier ist, ihre Lebensgeschichte herunterzuspulen. Sie arbeitet als Rechtsanwältin in einer der größten Firmen Kanadas. Eine im Kokainrausch entstandene, absurde Aktennotiz zu einem Deal brachte ihr einen vollbezahlten Aufenthalt in der
Oasis
ein. Seit 24 Tagen ist sie hier, und wird, wenn alles gut geht, in sechs Tagen entlassen.
Wir unterhalten uns eine Weile und gehen anschließend gemeinsam zum Abendessen in die Cafeteria. Die Cafeteria wirkt wie ein Bistro, und auch hier gibt es eine Reihe von riesigen Fenstern, die einen Blick auf den grünen Rasen bieten, der sich wie eine Decke bis hin zu den Wäldern erstreckt. Der Ausblick ist atemberaubend, aber außer mir scheint ihm niemand Beachtung zu schenken. Stattdessen redet und redet und redet jeder nur über sich selbst. Ich sehe mich nach DM V N um, doch trotz der »Alle Patienten müssen zu allen Mahlzeiten anwesend sein«-Regel kann ich sie nirgends entdecken.
Es gibt
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