Sternhagelverliebt
ist verpflichtet, zu den Therapiesitzungen und Mahlzeiten zu erscheinen, darf nichts mit einem Mitpatienten anfangen und muss um 22 Uhr das Licht ausschalten.
Abgesehen von ein paar kleinen Änderungen hat diese Liste verblüffende Ähnlichkeit mit der damals im Sommercamp. Wenn ich so darüber nachdenke, hatten wir damals auch 30 Tage lang nicht das Recht, einfach zu gehen. Natürlich bedeutete das Sommercamp
Spaß.
Hier werden wir wahrscheinlich nicht am Lagerfeuer sitzen und Lieder singen.
Ich falte die Liste zusammen, lege sie in mein Tagebuch – noch mehr Atmosphäre für meinen Artikel – und packe einige meiner Sachen aus. Dann hole ich den iTouch hervor und logge mich ein. Von Rory habe ich keine E-Mail bekommen, aber es gibt eine Nachricht von Bob.
Kate, bitte schick mir einen Zwischenbericht über das Zielobjekt. Bob.
Was für ein übles Wort – »Zielobjekt«. Als wäre ich ein Attentäter oder säße am Steuerknüppel eines X-Wing-Fighters. Ich bin nicht hier, um jemanden umzulegen, Freundchen. Ich bin nur hier, um sie dazu zu bringen, ihre tiefsten, dunkelsten Geheimnisse auszuplaudern. Und falls das nicht funktioniert, finde ich sie durch eine List heraus.
Bis jetzt war ich isoliert von den anderen, Bob. Werde DM V N in ein paar Minuten in der Gruppentherapie treffen. Sobald ich kann, schicke ich einen Bericht. Kate ☺
Ist das Emoticon zu viel? Ach, wen kümmert’s? Er kommt schon damit klar. Ich schicke die E-Mail ab und stecke den iTouch zurück in meine Tasche, wo ich ihn unter der dreckigen Unterwäsche verstecke.
Zeit für die Gruppentherapie.
Die Gruppentherapie findet im Gemeinschaftsraum statt, der den Hotelcharakter der Lobby ebenfalls widerspiegelt. Die Besonderheit ist ein Panoramafenster, das einen phantastischen Ausblick auf den See bietet. Als ich beobachte, wie sich die Sonnenstrahlen auf der Wasseroberfläche brechen, verspüre ich einen Moment lang das Bedürfnis, loszurennen und durch das Fenster in den schwarzen See einzutauchen. Den Sprung würde ich höchstwahrscheinlich nicht überleben. Doch wenn es mir gelänge zu fliehen, würden sie mich dann retten oder würden sie mich im Kampf gegen die Monster, die in der Tiefe lauern, meinem Schicksal überlassen?
Ein Dutzend Klappstühle aus Metall ist im Kreis angeordnet, und auf einem Beistelltisch aus Eiche, der neben dem Fenster steht, befindet sich eine Kaffeemaschine, durch die gerade kräftig duftender Kaffee tröpfelt. Auf den Stühlen sitzt eine Ansammlung von Männern und Frauen, die für einen Haufen Drogenabhängiger und Alkoholiker erstaunlich gut aussehen. Andererseits handelt es sich hierbei um Menschen, die es sich leisten können, in dieselbe Klinik einzuchecken wie DM V N , also werden sie wahrscheinlich nie so ausgesehen haben wie die Süchtigen auf den Anzeigen mit der warnenden Überschrift
So sehen Sie aus, wenn Sie Crystal Meth konsumieren.
Aber kümmert es Crystal Meth, in wessen Körper es geschnupft oder injiziert wird? Oder wird Crystal Meth geraucht? Ich kann mir das einfach nicht merken.
Aber da wir gerade von DM V N sprechen – wo zur Hölle ist sie?
Eine untersetzte Frau Mitte 50 mit kinnlangem graumeliertem Haar kommt zu mir, um mich zu begrüßen. Sie ist ein paar Zentimeter kleiner als ich und hat ein rundes Gesicht.
»Sie müssen Katie sein. Willkommen. Ich bin Dr. Bennett. Bitte nennen Sie mich doch Saundra.« Ich schüttele ihre weiche kleine Hand. »Nehmen Sie Platz – wir fangen gleich an.«
Ich setze mich auf einen der freien Stühle und bin mit einem Mal nervös. Was kommt jetzt? Wird an meinem ersten Tag von mir erwartet, vor der Gruppe zu sprechen? Und was zum Teufel soll ich überhaupt sagen? Wird diese Gruppe abgebrühter Süchtiger mich nicht sofort durchschauen?
Saundra bittet um Ruhe. »Also gut. Setzen Sie sich bitte alle. Heute werden wir über Bewältigungsmechanismen für Stresssituationen sprechen. Aber zuerst haben wir hier einen Neuzugang – Katie.«
Meine Nervosität wächst an, als zehn Augenpaare auf mich gerichtet werden. Scheiße! Ich werde heute auf jeden Fall etwas sagen müssen. Könnte ich nicht vorher ein paar Bewältigungsmechanismen lernen?
Ich hebe meine Hand und winke den anderen kurz zu.
»Ich hätte gern, dass sich der Reihe nach jeder hier vorstellt. Katie, Sie sind als Letzte dran. Ted, würden Sie bitte beginnen?«
Einer nach dem anderen stellt sich vor. Ted ist Banker und abhängig von Kokain und Alkohol.
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