Sternschnupperkurs
verratzten Hinterhofkneipen gespielt hatte. Das vermisste er fast noch mehr als die späteren Jahre der Anbetung und Heldenverehrung. Er fragte sich, wie Lucille damit umging.
Im nächsten Moment duckte er sich instinktiv, als Lucille ins Bild geschlendert kam. Aber er musste sich gar nicht verstecken, denn ihre Aufmerksamkeit galt einzig und allein dem Stacheldraht.
Mit einer schnellen Bewegung nahm sie ihm das halbleere Bierglas aus der Hand und zog ihn von der Bar weg auf die Bühne.
»Ich sag dir was«, hauchte Lucille ins Mikro, »warum zeigst du uns nicht
deine
Titten?«
Und dann sang sie ohne zu zögern
You Sexy Thing
von Hot Chocolate, den Song, der so erinnerungsträchtig
Ganz oder gar nicht
untermalt hatte.
Alle im Pub johlten zustimmend. Der Stacheldraht, der ganz begeistert im Mittelpunkt des Interesses stand und wie ein Idiot grinste, ließ seinen gewaltigen Bauch kreiseln und tanzte unbeholfen zur Musik. Als er sein bierbeflecktes Hemd auszog und in die Menge warf, die sich um die Bühne sammelte, wurde gelacht und gejohlt, und Lucille murmelte ins Mikro: »Mein Gott, die sind ja größer als meine.«
Kurz bevor Lucille fertig war, ging jemand mit einem Hut herum. Jaz warf einen Zehnpfundschein hinein. Der Stacheldraht hatte zwei Pfundmünzen hineingeworfen, wie Jaz zuvor beobachtet hatte, und sang jetzt am lautesten mit. Eindeutig sehnte er sich zurück auf die Bühne. Vor einer Stunde war er noch ein Arschloch gewesen. Jetzt war er Lucilles größter Fan.
Jaz schüttelte in stummer Bewunderung den Kopf. Genau so musste man mit Störenfrieden umgehen. Lucille kannte sich aus, so viel stand fest.
Sie entdeckte ihn, als sie sich an der Theke einen Drink holen wollte.
»Wie lange bist du schon hier?«
»Zwei Minuten?« Jaz zuckte mit den Schultern, griff in seine Jeans nach ein paar Münzen. »Bin gerade angekommen. Lass mich dir was zu trinken holen.«
»Lügner.« Lucille grinste breit. »Ich habe gesehen, wie dir vor einer Stunde an der Theke ausgeschenkt wurde.«
»Mein Gott.« Jaz seufzte. »Als Spion wäre ich nutzlos.«
»Stimmt. Aber du darfst mir trotzdem etwas zu trinken holen. Ein Guinness, bitte.«
Jaz bestellte ein Guinness und für sich noch eine große Cola.
Lucille, die ihn beobachtet hatte, fragte: »Ist es schwer, in eine Kneipe zu gehen und nichts trinken zu dürfen?«
»Nicht schwer. Nur langweilig. Es hilft, wenn es Livemusik gibt.« Er lächelte. »Du schlägst dich gut. Und du hast einen Bewunderer gewonnen.«
Lucille nickte, um das Kompliment anzuerkennen, aber dann schüttelte sie gereizt den Kopf.
»Ich schlage mich wacker, ja, aber die anderen haben gewonnen. Am Schluss habe ich die Musik gespielt, die sie wollten.«
»Mehr kannst du nicht erreichen«, tröstete Jaz. »Glaub mir.«
»Ich weiß, du hast recht.« Lucille nahm einen großen Schluck Guinness. »Es ist nur … wenn ich die Songs anderer Leute singe, bringt mich das nicht weiter. Aber niemand will dem zuhören, was ich geschrieben habe. Ich fühle mich wie einer dieser Typen, die mitten in Broadmead stehen und lauthals von Jesus erzählen und von der Liebe, die er in unser Leben bringt … und alle Passanten bringen sich schneller in Sicherheit, als man Spinner sagen kann.«
»Der Song, den du gespielt hast, als ich hereinkam, war das einer von deinen?«, fragte Jaz.
»Genau. Und niemand hat zugehört.«
»Ich habe zugehört.«
»Aber es war nicht besonders gut.« Lucille sah ihn an. »Oder?«
»Du hast eine phantastische Stimme. Ernsthaft. Eine große Bandbreite, perfekte Tonlage, große Tiefe.«
»Aber der Song war trotzdem Müll«, warf Lucille ein. »Ist schon in Ordnung, du kannst es ruhig sagen. Ich verspreche, mich deswegen nicht von der Suspension Bridge zu werfen.«
»Also gut«, sagte Jaz. »Der Song war nicht so phantastisch, stimmt.«
»Die Wahrheit.« Lucille schaute ernst. »Es war Müll.«
Zögernd gab Jaz zu. »Ja, eigentlich schon.«
Mein Gott, ehrlich zu sein war wirklich kein Picknick. Andererseits, was könnte es Schlimmeres geben als einen Heuchler und Lügner?
»Vielen Dank.«
Zu seinem Entsetzen wurde ihm klar, dass Tränen in Lucilles großen, funkelnden Augen glitzerten.
Sofort fühlte er sich schrecklich. »O Gott, jetzt bist du sauer …«
»Ich meinte danke schön im dankbaren Sinn, nicht im sauren.« Lucille lächelte unter Tränen. »Es ist, als ob man zu einer Modelagentur geht und zu hören bekommt, dass man niemals Model sein kann, weil man nur
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