Sternstunde der Liebe (German Edition)
Sams Worten konnte ich schließen, dass wir zwei uns eine Menge zu erzählen haben. Wir sind beide Iren, liegen beide in Nova Scotia vor Anker und waren beide Lehrer. Wie wär’s, haben Sie Lust, zu mir an Bord zu kommen und einen Happen mit mir zu essen?«
Sixtus gähnte verstohlen. Er wog Müdigkeit und Hunger gegeneinander ab, und sein Magen siegte. »Wenn Sie die Mahlzeit eigenhändig zubereiten, nehme ich das Angebot mit dem größten Vergnügen an.«
»Warum legen Sie sich nicht für eine Stunde aufs Ohr? Vermutlich denken Sie, das sei nicht annähernd genug, womit Sie Recht haben, aber das ist besser als gar nichts. Ich sag Bescheid, sobald ich fertig bin.«
»Sams Beschreibung hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie sind wirklich eine Seele von einem Menschen. Also, bis dann …«
Eine Stunde später, fast auf die Minute genau, hörte Sixtus die Tischglocke, die ihn zum Essen rief. Er war zwar nicht ausgeschlafen, aber zumindest erfrischt. Er spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, zog ein sauberes Hemd an und ging den Kai hinunter zur Archangel , Malachys altem, rot gestrichenem Schleppdampfer.
»Der Name Ihres Bootes gefällt mir«, sagte Sixtus. »Passt zu einem irischen Katholiken wie Ihnen.«
»Bezieht sich auf meinen Sohn, Gabriel.« Malachy brachte Sixtus ein Bier. »Er ist bei seiner Mutter im Himmel, wacht jeden Tag über mich.«
»So geht es mir mit Clarissa. Wie könnte ich mit einem Boot, das nach einem Engel benannt ist, falsch liegen?«
»Na dann, zum Wohl.« Sie stießen mit den Bierflaschen an. »Auf die Engel und auf Ihre Reise.«
Die Männer tranken Bier und aßen dazu kalte Garnelen aus dem Golf von Maine. Für Sixtus mit seinen verkrüppelten Händen war es nicht leicht, die Schalen mit den Daumennägeln aufzubrechen, und er ertappte Malachy dabei, wie dieser ihn beobachtete. Die Männer warfen die Garnelenschwänze über Bord, womit sie im Nu einen Schwarm Fische anlockten. Die silbernen Flossen peitschten die unbewegte dunkle Wasseroberfläche des Hafens auf, dann verschwanden sie auf einen Schlag. Malachy spielte seinem Gast Tonbänder von Delphinen vor, mit einem Unterwasserschallempfänger vor der Küste von Big Tancook Island aufgenommen, und Sixtus berichtete, dass ihm während der letzten sechzig Meilen ein Minke-Wal gefolgt war.
»Es geht doch nichts darüber, allein auf dem Meer zu sein, um einen klaren Kopf zu bekommen«, schwärmte Malachy.
»Stimmt«, pflichtete Sixtus ihm bei. »Ich bin im Ruhestand und lebe mit meiner Tochter zusammen. Sie ist Tierärztin.«
»Aha.« Malachy deutete auf die Hydrophone, die für die Tonbandaufnahmen bei den Meeressäugern verwendet wurden. »Eine Tierfreundin also. Ein Mädel ganz nach meinem Geschmack.«
»Ja, sie könnte bestimmt einige interessante Erkenntnisse und Erfahrungen zu Ihrem Forschungsprojekt beisteuern. Sie ist eine Koryphäe, was das Verhalten von Tieren angeht. Aber heißblütig und stur, wie ihr alter Herr. Ich hatte langsam das Gefühl, als würde ich ihr das Leben vergällen – sie war voll ausgelastet mit ihrem Beruf und der Kocherei für ihren alten Herrn, so dass sie kaum dazu kam, ihr eigenes Leben zu genießen.«
Malachy nickte. »Guter Standpunkt. Immer, wenn ich mich dabei ertappe, dass ich Gabriel zu sehr vermisse, muss ich mir ins Gedächtnis rufen, dass ich dem Jungen wenigstens nicht zur Last falle. Wissen Sie, eigentlich bin ich fast zu alt und meine Knochen zu morsch, um auf einem Boot zu leben, und wenn sich mein Gabe mit Frau und Kindern in einer schmucken Vorstadt häuslich niedergelassen hätte, wäre er gewiss mit dem Vorschlag gekommen, mich im Apartment über der Garage einzuquartieren, das sich für Besuch von der angeheirateten Verwandtschaft oder als Altenteil anbietet.«
»Morsche Knochen – ziemlich treffend, die Bezeichnung.« Sixtus betrachtete seine Hände.
»Arthritis?«
»Ja. Musste letzten Herbst einen Krückstock kaufen. Schätze, als Nächstes kommt ein Gehgestell. Künstliche Hüftgelenke, Rückenoperation, lebenslange Einnahme von Advil … und Rumer verwandelt sich in eine Altenpflegerin. Kein Apartment über der Garage; wir wohnen unter einem Dach. Wo sie, traurig, aber wahr, ihr ganzes Leben verbracht hat.«
»Heiliges Kanonenrohr!« Malachy runzelte die Stirn, während er eine Garnele aussaugte. »Was haben Sie mit dem armen Mädel gemacht, ihr die Luft abgeschnürt? Wollten Sie, dass sie ein Altersheim eröffnet?«
»Ich weiß, ich weiß.« Sixtus trank
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