Sternstunde der Liebe (German Edition)
wieder in Hubbard’s Point und in Rumers Nähe befand, war ein Thema, das ihr immer noch zu heikel erschien, um es ad acta zu legen. Vor allem, weil sich Michael ebenfalls dort aufhielt.
»Vergiss es, Kind«, sagte ihr Vater. »Tu uns beiden einen Gefallen und vergiss es. Und jetzt gehe ich schlafen, wir können uns später noch unterhalten.«
»Ruh dich aus, Väterchen«, sagte Zee, und zitierte damit Greta Garbo in Ninotschka .
Sie marschierte eine Stunde lang auf Deck hin und her – aufgedreht, vom Adrenalin umgetrieben. So war es immer gewesen, solange sie zurückdenken konnte. Ihre Schwester war ruhig und gelassen, sie selbst hyperaktiv. Sie hätte eine erstklassige Topmanagerin abgegeben: Sie verspürte den Drang, alles zu erfahren, alles zu überwachen, alles unter Kontrolle haben – selbst auf die Entfernung. Sie freute sich über das Wiedersehen mit ihrem Vater – obwohl er gewaltig gealtert und ziemlich gebrechlich war –, aber das Schreckgespenst von Zeb und Rumer ließ ihre Gedanken nicht zur Ruhe kommen.
Doch bald überkam sie der Friede, der in Lunenburg herrschte. Die Luft war klar, der Hafen überschaubar und still. Im Cockpit sitzend, ertappte sie sich dabei, dass sie immer wieder durch das sanfte Schaukeln des Schiffsrumpfes einnickte. Sie hatte seit Wochen keine Möglichkeit gehabt, dem Trubel am Drehort zu entfliehen; es war ein Segen, allein zu sein, ohne Haarstylistin, Maskenbildnerin, Kostümbildnerin, Aufnahmeleiter und Regisseur, die sie alle für irgendetwas brauchten. Bevor sie sich versah, war sie eingeschlafen.
Als sie aufwachte, dämmerte der Morgen bereits herauf und ihr Vater hatte eine Decke über sie gebreitet. Er saß auf der anderen Seite des Cockpits, die Bibel aufgeschlagen im Schoß, und trank Kaffee.
»Der Versuch, mein Seelenheil zu erretten, ist müßig, guter Mann«, sagte sie mit Blick auf die Bibel.
»Ah, eine Tochter, die schon bei Tagesanbruch James Thurber zitiert.« Ihr Vater schmunzelte. »Ich wusste, dass ich ein Glückspilz bin.«
Lächelnd erinnerte sie sich, wie Rumer und sie in Thurbers Men, Women and Dogs geschmökert hatten, ein Buch, das ihrer Mutter gehörte. Die Lektüre war ein absolutes Muss in Hubbard’s Point, und Zee und ihre Schwester kannten den Text auswendig. Ihr Vater brachte ihr eine Tasse Kaffee, schwarz, und sie stützte sich auf den Ellbogen, um sie ihm abzunehmen.
»Ich muss wie eine Vogelscheuche aussehen«, sagte sie, während sie beobachtete, wie langsam sich ihr Vater bewegte. Alles war vom Morgennebel völlig durchweicht, vor allem ihre Haare.
»Ich bin dein Vater, nicht der Mann, der die Hauptrolle in deinem Film spielt. Ich habe dich schon in schlimmerem Zustand erlebt.«
»Vielen Dank. Aus deinem Munde werte ich das als Kompliment.«
Sie tranken ihren Kaffee, schwiegen einige Minuten lang. Ein wolkenloser, herrlicher Tag zog herauf, mit einer für kanadische Meereslandschaften typischen Leuchtkraft, die Zee bei zahlreichen Dreharbeiten kennen gelernt hatte. Das Firmament war von einem tiefen Blau und gleichzeitig in Gold getaucht. Die aufgehende Sonne krönte den Horizont, ein Feuer mit goldenen Strahlen, die wie Raketen in den Himmel schossen.
»Im Ernst, Elizabeth«, sagte ihr Vater nach einer Weile. »Ich freue mich sehr, dich zu sehen.«
»Du hast nicht damit gerechnet, dass ich komme, oder?«
»Du neigst dazu, dich rar zu machen …«
»Nur zu Hause, Dad. Zu viele Geister.«
»Deine Schwester, meinst du. Sie kennt dich zu gut und könnte sie jederzeit heraufbeschwören.«
Elizabeth blickte stumm auf den Hafen hinaus. Er hatte Recht, aber das war noch nicht alles. Er begriff nicht, dass sie von Schuldgefühlen geplagt wurde, was Rumer betraf. Sich Möglichkeiten der Wiedergutmachung zu überlegen war ein Trick, der ihr meistens half, den nächsten Tag nüchtern zu überstehen. Obwohl sich Rumers Name an oberster Stelle der Liste mit den anstehenden Sühneaktionen befand, hatte es ihr bisher an dem nötigen Mut gefehlt, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen.
»Wir drehen in Laurelton und Halifax«, sagte sie, das Thema wechselnd. »Gleich in der Nähe.«
»Zwei Ortschaften, die mir sehr vertraut sind.« Ihr Vater nickte. »Als Junge habe ich dort einige Zeit verbracht.«
»Wirklich? Ich weiß nur, dass du in Halifax gelebt hast …«
»Ja, aber Laurelton kenne ich auch sehr gut.« Seine Miene verfinsterte sich, und Zee vermutete, dass er sich daran erinnerte, wie es gewesen war, in Armut aufzuwachsen,
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