Sternstunde der Liebe (German Edition)
überhaupt erst seinen Reiz verleiht? Das ist keine Immobilie, die man erst erschließen muss; wir befinden uns nicht in einer Vorstadt, die erst aus dem Boden gestampft werden soll … diese Landschaft ist anders als jede andere in Connecticut. Sie ist unverkennbar, wie Maine oder Nova Scotia – eine Gletschermoräne …«
»Ich weiß«, erwiderte Zeb sanft. »Aus dem Weltraum kann man den Einschnitt erkennen. Das heißt, man sieht die Konturen, wo die Felsen von Hubbard’s Point mit der Küste Afrikas verschmelzen würden. Einfach unglaublich.«
»Es kann doch nicht angehen, dass er das alles verwüstet«, sagte Rumer. Zebs Ruhe weckte in ihr das Gefühl der Verzweiflung – sie wusste, dass seine Worte ernst gemeint waren. »Dass er Dinge verändert, die es seit Ewigkeiten hier gibt – mit ihnen umspringt, wie es ihm passt!«
»Das hat er bereits getan.«
»Die Bäume«, flüsterte sie und blickte zum dunklen Himmel und der kahlen Stelle empor, wo sich früher die Äste befunden hatten.
»Die Kaninchen, Rumer.« Zeb umfasste ihre Schultern.
»Was?«
»Wir haben vor der Sprengung vielleicht keine Gelegenheit mehr. Willst du versuchen, sie umzusiedeln?«
Sie weinte, konnte die Wahrheit nicht verkraften, die Zeb ihr soeben eröffnet hatte. Das darf nicht geschehen, hätte sie am liebsten geschrien, er kann nicht einfach hingehen und tonnenweise Felsen aus präkambrischer Zeit zerstören, aber sie wusste, dass nichts ihn aufhalten konnte: Heute Morgen hatten hier noch zweihundert Jahre alte, fünfzig Fuß hohe Bäume gestanden, und nun waren sie verschwunden.
»Die Kaninchen werden ihren Bau nicht freiwillig verlassen.«
»Das ist mir klar. Aber wenn ihnen überhaupt jemand bei der Umsiedlung helfen kann, dann bist du es.«
Rumer schluckte. Sie dachte an die Verschläge im Windfang; sie waren derzeit leer. »Wir können sie erst einmal im Haus unterbringen, bis uns etwas Besseres einfällt.«
»Genau. Dann mal los, Dr. Larkin.«
Rumer kauerte sich neben das Loch, das der Eingang zum Bau war, legte ihre Hand auf den flachen Felsen. Zeb sah es und schob die Hand unter den Stein: Der verborgene Schlüssel befand sich noch an Ort und Stelle. Er steckte ihn in die Tasche – schließlich gehörte er ihm.
»Ich hole etwas, um die Kaninchen zu transportieren.« Zeb eilte nach nebenan, in ihr Haus.
Während er weg war, brachte Rumer ihr Gesicht nahe an das Loch. Sie versuchte hineinzuspähen, sah aber nichts als Schwärze. Als Kind hatten ihr solche Erdlöcher Angst gemacht. Sie hatte sich die Schrecken ausgemalt, die sich in dem Inneren verbargen: Gnome, Trolle, Giftschlangen. Im Augenblick fühlte sie sich eher wie ein kleines Mädchen; keine Spur von der Tierärztin, die ihren Weg gegangen war. Sie schloss die Augen und rief sich den Mut und die Stärke ins Gedächtnis, die ihre Mutter, ihre Großmutter, Mrs. Mayhew, Clarissa Randall und Quinns gesammelte Meerjungfrauen und Einhorn-Fabelwesen auszeichneten, dann schob sie ihren Arm behutsam in das Loch.
Ihre Finger berührten weiches Fell.
»Alles in Ordnung, habt keine Angst«, wisperte sie.
Vielleicht waren die Kaninchen beim Roden derart in Panik geraten, dass sie nun vor Angst erstarrt waren. Zeb kehrte mit einem leeren Kopfkissenbezug zurück, und Rumer zog eines nach dem anderen heraus und legte sie hinein: sieben an der Zahl, die fünf Jungen eingeschlossen.
Der Wind über ihren Köpfen klang hohl ohne das Rauschen der Blätter. Er pfiff durch den Himmel, unter den Sternen. Das Kopfkissen in die Mitte nehmend, eilten sie zu Rumers Haus. Plötzlich rumpelte ein Lastwagen die Straße entlang; Schweinwerfer durchbohrten die Nacht.
Die Lichter streiften über das Land, enthüllten eine öde Mondlandschaft: einen baumlosen Abhang aus zerklüftetem grauem Felsgestein. Als der Lastwagen weiterfuhr und das Rumpeln in der Ferne verklang, glaubten sie die hohen Eichen und Kiefern vor sich zu sehen, schimmernd wie eine gespenstische Erscheinung. Hatten sie überhaupt jemals existiert?
Rumer schloss die Augen, um die Erinnerung an die Bäume zu bewahren, auf die sie so gerne geklettert war, an die biegsamen Zweige, die Generationen Schutz geboten hatten. Dann holte sie tief Luft, öffnete die Augen und folgte Zeb und den Kaninchen ins Haus.
Als Michael am nächsten Morgen aus dem Fenster sah, traute er seinen Augen nicht. Der Hügel auf der gegenüberliegenden Straßenseite, rund um das Elternhaus seines Vaters, war so kahl wie ein Felsen.
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