Sternstunde der Liebe (German Edition)
Gang entlang.
»Er versucht, an den Fäden zu kauen«, sagte Mathilda.
»Sie jucken.« Rumer untersuchte den räudigen alten Kater mit sanfter Hand. »Stimmt’s, Oscar?«
»Hallo, Quinn«, begrüßte Mathilda sie.
»Hallo.« Quinn war verlegen. Mathilda musterte sie und wunderte sich natürlich, was sie an einem normalen Schultag hier in der Praxis zu suchen hatte. Vermutlich sah man ihr auf den ersten Blick an, dass sie eine Niete und suspendiert worden war: Statt der Schuluniform trug sie ihr alte Arbeitskleidung – schmieriges Ölzeug, Stiefel mit verkrusteten Salzkristallen und Fischschuppen; schließlich hatte sie gerade erst ihre Hummerkörbe überprüft. Mathilda lächelte, als wollte sie Quinn aufmuntern.
Rumer betupfte die Wunden des Katers mit einer orangefarbenen Flüssigkeit, dann legte sie den Verband wieder an. Quinn hatte ihren Blick unverwandt auf den Kater gerichtet, so dass sie Mathilda nicht anschauen musste. Manchmal wusste sie nicht, wie sie sich gegenüber Menschen verhalten sollte, die versuchten, nett zu ihr zu sein. Sie kannte den Nachnamen der Frau nicht, aber sie hatte gehört, dass sie geschieden war und in einem kleinen Haus weit draußen am See wohnte. Die Leute tuschelten, weil sie offenbar irgendeine Tragödie erlebt hatte – es ging dabei um Liebe, Heirat, einen anderen Mann.
Als Mathilda mit Oscar den Raum verließ, blickte Rumer sie an.
»Und was führt dich heute zu mir?«
»Keine Ahnung. Ich musste zur Schule, um mein Lineal aus dem Spind zu holen. Gestern habe ich mindestens zwei Hummer ins Meer zurückgeworfen, weil ich mir nicht sicher war, ob sie die gesetzlich vorgeschriebene Größe hatten; dabei hätte ich sie durchaus behalten können.« Sie griff in ihre Tasche und schwenkte das Lineal in der Luft.
»Bist du gekommen, um mir das zu zeigen?« Rumer lächelte.
»Ja, mir war danach. Und außerdem … Es tut mir Leid, dass ich gestern beim Test einfach gegangen bin. Ich wollte nur, dass du weißt, dass es nichts mit dir persönlich zu tun hat.«
»Danke, dass du es mir gesagt hast. Aber du musst den Test trotzdem nachholen – im Sommerkurs.«
»Sommerkurs.« Quinn schauderte. »Das würde alle meine Pläne zunichte machen. Ich muss arbeiten, Hummer fangen … ich will nach Juni nicht mehr zur Schule gehen. Ich kann nicht, genauer gesagt.«
»Quinn, man kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen, indem man den leichten Weg wählt.«
»Hummerfang ist nicht leicht!«
»Ich weiß. Aber er ist auch kein Sprungbrett fürs College.«
»Wer braucht schon das College? Es würde mich bloß von meinem eigentlichen Ziel abbringen … ich kann es kaum noch erwarten, erwachsen zu sein und eine Dame de la Roche zu werden. Winnie und du, ihr seid mein Vorbild; ich werde es genauso machen wie ihr – nie heiraten und für immer und ewig in Hubbard’s Point bleiben.«
»Hmmm.«
»Sogar Tante Dana wird uns untreu! Aber wenigstens heiratet sie Sam und bleibt hier. Ich bedaure die Frauen, die weggehen – wie die alte Elizabeth Randall. Und deine Schwester! Gehören die beiden im Range Rover zu ihr? Ich weiß, dass sie kommen wollten – Tante Dana hat es mir gesagt.«
»Sieht ganz so aus.« Rumers Stimme klang erstaunlich gelassen. »Zeb und Michael. Du hast früher mit Michael gespielt – aber das ist einige Jahre her.«
»Das muss Ewigkeiten her sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir heute noch viel gemein hätten.«
»Wann sind sie angekommen?«
»Vor ungefähr zwei Stunden, glaube ich. Sie haben sich mit Winnie unterhalten, in ihrem Garten.« Quinn scharrte mit ihrem Zeh über den Boden, ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Sie sah wieder Mr. Sargent vor sich, den Rektor, der am Ende des Korridors gestanden und schweigend beobachtet hatte, wie sie das Lineal aus ihrem Spind holte. »Rumer?«
»Ja?«
»Denkst du … wenn ich mich entschuldigen würde … könntest du mit Mr. Sargent reden und dafür sorgen, dass die Suspendierung aufgehoben wird? Ich will nicht in den Sommerkurs …«
»Ich habe leider keinen großen Einfluss auf ihn, Quinn. Ich unterrichte nur ein einziges Fach, und das auf Teilzeitbasis. Aber ich werde mein Bestes tun«, versprach Rumer, als die Eingangstür zur Praxis geöffnet und geschlossen wurde. Quinn hörte einen großen Hund an seiner Leine ziehen – schnaufend, mit scharrenden Krallen auf dem harten Linoleum.
»Okay – und danke.« Quinn hinterließ eine Fischschuppen-Spur, als sie durch den langen Gang zur
Weitere Kostenlose Bücher