Sternstunde der Liebe (German Edition)
Meer ein kühler Wind wehte. Ihr Magen spielte verrückt, wie bei einer rasanten Fahrt mit dem Aufzug: rauf ins oberste Stockwerk, runter in den Keller. Ihr war speiübel.
Und dann kam Michael Mayhew – wie Allie vorausgesagt hatte – direkt an der Gezeitenlinie entlang. Er trug schlotterige Jeans und ein schwarzes T-Shirt, das Kopftuch bedeckte seine langen Haare. Quinns Herz schlug schneller, sie war wie erstarrt – hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, sich in ihrem Fuchsbau zu verkriechen, damit er sie nicht entdeckte, und dem Bedürfnis, der Realität ins Auge zu sehen, dass Allie sich mit ihrer Vermutung nicht geirrt hatte und sie ihn eigentlich mochte.
»Hey!«, hörte sie jemanden rufen, bevor sie merkte, dass es ihre eigene Stimme war.
Sich umblickend, wechselte er die Richtung und kam auf sie zu.
»Hey.« Hochaufragend stand er vor ihr.
»Hast du von dem Fischadler gehört?«, fragte sie.
»Ja. Ich habe nach ihm Ausschau gehalten.«
»Tatsächlich?« Sie war überrascht und beeindruckt.
»Ja, mein Dad hat mir erzählt, was passiert ist.«
»Rumer und er haben ihm das Leben gerettet.«
»Ich weiß. Er ist ziemlich froh darüber.«
»Ja?«
Quinn bemühte sich, gleichmäßig zu atmen. Sie hatte das Gefühl, einer Ohnmacht nahe zu sein, und dabei unterhielten sie sich nur über Belanglosigkeiten. Es war seltsam, ein Gespräch mit jemandem zu führen, sich so auszutauschen – es kam ihr so erschreckend normal vor.
»Schaust du dir den Film an?« Sie war tödlich erschrocken über sich selbst.
»Film?« Er runzelte die Stirn, blickte sich um. »Ist das hier ein Freilichtkino? Am Strand?«
»Ja. Beeil dich, hol dir eine Decke von zu Hause, und dann gräbst du dir eine Kuhle und schaust ihn dir an.«
Michael stand da, die Füße im Sand vergraben, und starrte zu der hölzernen Strandpromenade hinüber, als hätte er noch nie einen Projektor gesehen. Mr. Phelan fädelte gerade die Filmrolle durch die Abwickelspulen; seine Frau leuchtete ihm dabei mit der Taschenlampe, damit er besser sehen konnte. Die Dunkelheit brach schnell herein – die Vorführung würde in wenigen Minuten beginnen.
»Oder …«, begann Quinn.
Michael sah ihr in die Augen. Auf was ließ sie sich da ein? Ein bodenloser Abgrund tat sich vor ihr auf.
»Oder du setzt dich zu mir, auf meine Decke«, fuhr sie fort.
Er antwortete nicht. Er stand reglos da, blickte ihr so tief in die Augen wie niemand zuvor. Quinn spürte, wie sie rot wurde, wie sie plötzlich glühte, ein Gefühl, das sie von innen heraus wärmte. Sie schlug die Zudecke zurück und Michael kroch zu ihr in die Sandkuhle.
»Willkommen in meiner Höhle«, sagte sie.
»Danke.« Er saß viel zu gerade, um es bequem zu haben.
Mit sanfter Hand, die nicht ihre eigene zu sein schien, gab Quinn ihm einen Stups gegen die Brust, so dass er sich an die Rückwand der Kuhle anlehnen konnte. Sie spürte, wie die Anspannung aus seinem Körper wich, als wären ihre Finger ein Magnet, der sie ausleitete. Er zitterte, aber sein Blick ließ sie nicht los.
»Steck die neben dir in den Sand.« Sie reichte ihm zwei brennende Reisigstöckchen, deren dünne Rauchwolken vom Ostwind davongetragen wurden.
»Um böse Geister zu vertreiben?«, fragte er scherzhaft.
»Ja«, erwiderte sie, vollkommen ernst. »Und die guten willkommen zu heißen.«
»Wirklich?« Er steckte sie in den Sand neben ihm. Nun waren sie von Reisig umgeben, dessen würziger Duft die Luft wie Weihrauch erfüllte. Quinn sann über seine Frage »Um böse Geister zu vertreiben?« nach und dachte, wenn er wüsste! Hubbard’s Point war eine axis mundi – ein Ort, an dem die Welten aufeinander trafen.
Hier fand der Totentanz statt – manchmal, in der Mittsommernacht, sah sie ihre Eltern eng umschlungen auf den Klippen, wie sie sich wieder und wieder im Kreise drehten, zu einer Melodie, die nur sie zu hören vermochten. Rumers Mutter hatte als Kind mehrmals Einhörner zwischen den Zedern gesehen, verborgen im Nebel; sie war ihnen gefolgt, zum Friedhof, und sie hatte den Geist ihrer Mutter gesehen, die mit ihrer Ahnfrau und Namensvetterin auf dem Hügel stand, Clarissa Randall, Tochter der ertrunkenen Frau des Leuchtturmwärters.
»Böse Geister?«, hakte er nach, immer noch im Spaß.
Quinn holte tief Luft. Der Verlust ihrer Eltern hatte sie eines gelehrt – dass Gutes und Böses oftmals dicht beieinander lagen. Michael machte sich über Dinge lustig, die ihr todernst waren.
»Das sollte kein Scherz
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