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Sternstunden des Universums

Sternstunden des Universums

Titel: Sternstunden des Universums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Lesch
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NGC 1260, in der sich die Explosion ereignet hat. In der Vergrößerung rechts oben ist die Supernova zusammen mit dem Kern der Galaxie zu erkennen. Die enorme Helligkeit im Röntgenbereich dokumentiert die vom Röntgenobservatorium Chandra gemachte Aufnahme (rechts unten).
    Neutrinos, wir haben es bereits erwähnt, tragen in etwa 99 Prozent, also fast die gesamte von einer SN freigesetzte Energie davon. Treffen sie auf Materie, so können sie ihre Energie über Streuprozesse an die Atomkerne abgeben. Bei der SN 1987A entstand die ungeheure Menge von 10 58 Neutrinos. Lassen wir diesen Wert auch für die erwartete Eta-Carinae-SN gelten, und gehen wir wieder von einer SN-Energie von 10 46 Joule aus, so hat ein Neutrino eine mittlere Energie von nur 1 Billionsteljoule. Allerdings würde uns nicht der gesamte Teilchenstrom treffen, da die Neutrinos vom Explosionsort gleichmäßig in alle Richtungen davonfliegen. Bei der Entfernung von 7500 Lichtjahren wären es dennoch rund 16 Billionen Neutrinos pro Quadratzentimeter Fläche. Nehmen wir ferner an, ein Mensch würde im Augenblick der SN-Explosion frontal zur SN stehen und seine ihr zugewandte Körperfläche betrüge einen Quadratmeter. Dann träfen die Person insgesamt 160 Billiarden Neutrinos mit einer Energie von 160000 Joule! Eine einmalig absorbierte Strahlendosis von mehr als 10 Sievert (Sv), was einer Energiedosis von 10 Joule pro Kilogramm Körpergewicht entspricht, ist für den Menschen tödlich. Bei einem Körpergewicht von 80 Kilogramm sind das 800 Joule. Wenn also Neutrinos mit einer Gesamtenergie von 160000 Joule einen Menschen treffen, dann sollte das augenblicklich zum Tod führen.
    Ein Blick auf unsere Sonne zeigt, dass das nicht stimmen kann. Auch bei der in der Sonne fortwährend ablaufenden Fusion von Wasserstoff zu Helium entstehen Neutrinos: rund 2 × 10 38 jede Sekunde. Pro Quadratzentimeter und Sekunde treffen uns davon 70 Milliarden! – Und? Haben Sie jemals was davon bemerkt? Etwa ein Gefühl wie bei Nadelstichen? Wenn Sie ehrlich sind: nein! Anscheinend durchdringen Neutrinos unseren Körper problemlos. Und nicht nur das: Neutrinos können durch den gesamten Erdball laufen, ohne auch nur mit einem Atom zu kollidieren. Verantwortlich dafür ist der sogenannte Wechselwirkungsquerschnitt s (= griechischer Buchstabe Sigma). Man versteht darunter eine Fläche um das Zielteilchen, innerhalb der das Neutrino auftreffen muss, damit es zu einer Wechselwirkung zwischen dem Neutrino und dem Teilchen kommt. Das s von Neutrinos hat den verschwindend kleinen Wert von 10 -44 Quadratzentimetern. Weiß man noch über die Dichte und die Zusammensetzung der bestrahlten Materie Bescheid, so kann man berechnen, wie viele von den auftreffenden Neutrinos ihre Energie an die Materie abgeben. Da menschliches oder tierisches Gewebe vornehmlich aus Molekülen besteht, die aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff aufgebaut sind, macht man keinen großen Fehler, wenn man C 4 H 40 O 17 N 1 -Moleküle als repräsentativ für menschliches Gewebe ansieht. Damit ergibt sich rein rechnerisch, dass von den 160 Billiarden ankommenden Neutrinos der Eta-Carinae-SN nur ein Fünftausendstel der Energie eines einzigen Neutrinos an die betroffene Person übertragen wird! Im Mittel deponieren die 160 Billiarden Neutrinos also nur 0,2 Billiardstel Joule im menschlichen Körper. Von den tödlichen 800 Joule ist das himmelweit entfernt! Wenn Eta Carinae als SN explodieren wird, dürfte uns der gewaltige Neutrinoschauer wohl kaum etwas anhaben. Damit der Neutrinostrom einer SN unmittelbar tödlich wirkt, darf der explodierende Stern höchstens 20 Prozent weiter entfernt sein als unsere Sonne.
    Diese Ergebnisse sagen etwas darüber aus, wie viel Energie SN-Neutrinos im Körper eines Menschen abgeben. Sie lassen jedoch nicht erkennen, welche zerstörerische Auswirkung diese Energie auf die Zellen des Gewebes hat. Zellschäden in begrenztem Umfang machen sich nicht unmittelbar bemerkbar. Längerfristig können sie jedoch zu Krebs oder zu Veränderungen im Erbgut führen. Ansatzweise hat das Juan I. Collar in »Biological Effects of Stellar Collapse Neutrinos« untersucht. Folgt man seinen Ausführungen, so zeigt sich, dass sich die Bedrohung durch eine SN in Grenzen hält. Entscheidend ist wieder, in welcher Entfernung der Stern explodiert. Beispielsweise hätte man bei einer SN in rund 900 pc, das heißt knapp 3000 Lichtjahren Entfernung, im Gewebe einer 80 Kilogramm schweren

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