Sterntagebücher
solchen war ich schon früher begegnet. Die alpdruckhaften Visionen, die gewisse Futurologen bisweilen von einer Zukunftswelt entwerfen, die durch Abgase vergiftet, vollgeraucht und in der energetischen oder thermischen Barriere steckengeblieben ist, sind unsinnig: In der nachindustriellen Entwicklungsphase bildet sich eine biotische Ingenieurkunst heraus, die alle Probleme dieser Art liquidiert. Die Beherrschung der Lebenserscheinungen gestattet es, künstliche Keimlinge zu produzieren, die man überall pflanzen kann: Man beträufelt sie mit einer Handvoll Wasser, und im Nu wächst das erforderliche Objekt daraus hervor. Um die Frage, woher ein solcher Keimling die Kenntnisse und die Energie für eine Radio- oder Schrankgenese nimmt, braucht man sich ebensowenig zu kümmern, wie wir uns nicht dafür interessieren, woher Unkrautsamenkorn die Kraft und das Wissen nimmt, aufzugehen.
Deshalb wunderte ich mich nicht über das Feld voller Vitrinen und Nachtschränkchen, sondern über den Umstand, daß sie völlig entartet waren. Das Nachtschränkchen, das mir am nächsten war und das ich zu öffnen versuchte, hätte mir mit seiner gezahnten Schublade beinahe die Hand abgebissen; ein zweites, das neben ihm wuchs, zitterte in dem sanften Hauch des Windes wie Gelee, und ein Taburett, an dem ich vorbeiging, stellte mir ein Bein, so daß ich der Länge nach hinschlug. So dürfen sich Möbel nun wirklich nicht benehmen; etwas war mit dieser Aufzucht also nicht in Ordnung. Während ich weiterging, nunmehr mit der größten Vorsicht, den Finger am Abzug des Blasters, stieß ich in einer flachen Bodensenke auf ein Dickicht im Stil Louis XV, aus dem ein wildgewordenes Kanapee auf mich losstürzte und mich wahrscheinlich mit seinen vergoldeten Hufen getreten hätte, wenn ich es nicht mit einem gezielten Schuß niedergestreckt hätte. Ich kroch eine Zeitlang zwischen den Büschen von Möbelgarnituren umher, die nicht nur eine Hybridisierung von Stilen, sondern auch von Sinnen verrieten; da wucherten Mischungen aus Anrichten und Ottomanen, gabelförmige Regale, und die weit geöffneten und gewissermaßen in ihr tiefes Inneres einladenden Schränke waren gar raubtierhaft, wenn man nach den Überresten urteilen wollte, die zu ihren Füßen lagen.
Da ich immer deutlicher erkannte, daß das kein geordneter Anbau, sondern ein Chaos war, suchte ich mir, müde und erhitzt von der Glut, denn die Sonne stand im Zenit, einen ausnahmsweise ruhigen Sessel aus und setzte mich darauf, um über meine Lage nachzudenken. Ich saß so im Schatten einiger großer, wenn auch verwildeter Kommoden mit zahlreichen Trieben in Gestalt von Kleiderbügeln, als etwa hundert Schritt von mir entfernt, inmitten hoch wuchernder Gardinenstangen ein Kopf auftauchte, ein Kopf und mit ihm der Rumpf eines Geschöpfes. Es sah mir nicht nach einem Menschen aus, hatte aber bestimmt nichts mit Möbeln gemein. Aufrecht stand es da, sein blondes Fell glänzte; das Gesicht sah ich nicht, denn es war von einer breiten Hutkrempe beschattet. Statt eines Bauches hatte es eine Art Tamburin, die Arme waren spitzig und gingen in doppelte Hände über; es summte leise und schien sich auf dieser Bauchtrommel zu begleiten. Es tat einen, dann einen zweiten Schritt nach vorn, so daß sich seine ganze Ges talt zeigte. Jetzt erinnerte es an einen Zentauren, an einen barfüßigen, ohne Hufe. Hinter dem zweiten Beinpaar zeigte sich ein drittes, dann ein viertes, und als das Geschöpf im Sprung losstürmte und ins Dickicht stürzte, wo es mir aus den Augen geriet, konnte ich nicht weiterzählen, doch hundert Beine waren es nun auch wieder nicht, das stand fest.
Ich ruhte auf dem gepolsterten Sessel, verdutzt über die seltsame Begegnung, bis ich mich erhob und weiterging, immer darauf bedacht, daß ich mich nicht zu weit von der Rakete entfernte. Zwischen ausgewachsenen Sofas, die alle hochkant standen, erblickte ich steinerne Trümmer und dahinter so etwas wie einen Kanaleingang. Als ich näher trat, um in die dunkle Tiefe zu blicken, vernahm ich hinter mir ein Geräusch; ich wollte mich umdrehen, aber ein Tuch fiel mir auf den Kopf, ich zappelte, doch vergebens, denn schon hielten mich stählerne Arme umfangen. Jemand griff nach meinen Kniekehlen, und ich spürte, während ich erfolglos strampelte, wie man mich hochhob und dann an den Schultern und an den Beinen packte. Man trug mich wahrscheinlich irgendwo hinunter, ich hörte den Widerhall von Schritten auf steinernen Platten,
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