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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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die Kategorien deines Denkens vergessen, das sich in einer anderen Geschichte als der unsrigen geformt hat Freiheit bedeutet für uns etwas ganz anderes als für dich. Sie bedeutet den Wegfall jeglicher Beschränkungen des Handelns, das heißt das Verschwinden all jener Widerstände, denen das Leben in seinem verstandesmäßigen Dämmerzustand begegnet. Diese Widerstände formen den Verstand, denn sie holen ihn aus den vegetativen Ab gründen an die Oberfläche. Da sich diese Widerstände recht spürbar bemerkbar machen, träumt die historische Vernunft von der Fülle der Freiheiten als der Erfüllung, und deshalb strebt sie eben mit zivilisatorischen Schritten in diese Richtung. Es gibt da den Schritt der Meißelung steinerner Urnen und den Schritt der Wiedererweckung von den Toten, und es gibt den Schritt des Verlöschens der Sonnen, und zwischen ihnen gibt es keine unüberwundenen Hindernisse.
      Die Freiheit, von der ich spreche, ist nicht der bescheidene Zustand, den sich Menschen wünschen, wenn andere sie peinigen. Dann ist nämlich der Mensch für den Menschen das Gitter, die Wand, das Netz und der Abgrund. Die Freiheit, die ich meine, liegt weiter, sie erstreckt sich hinter dieser Zone der wechselseitigen sozialen Behinderungen, denn durch diese Zone kann man unversehrt hindurchgehen, aber dann, auf der Suche nach neuen Widerständen, weil Menschen sie für Menschen nicht mehr errichten, findet man sie in der Welt und in sich selbst wieder und wählt sich und die Welt zum Widersacher, um mit beiden zu kämpfen und um sich beide unterzuordnen. Und wenn auch das gelingt, klafft vor uns der Abgrund der Freiheit, denn je mehr man tun kann, desto weniger weiß man, was zu tun ist. Zunächst lockt die Klugheit, aber aus dem Wasserkrug in der Wüste wird sie zu einem Krug mitten in einem See, wo sie aneigbar ist wie Wasser und wo man Eisenschrott und Froschlaich mit ihr ausstatten kann.
      Wenn aber das Streben nach Weisheit würdig erscheint, so gibt es für die Flucht aus der Weisheit keine würdigen Argumente; niemand verkündet dann nämlich laut, daß er nach Stumpfsinn lechzt, und selbst wenn er es wollte und den Mut hätte, dies zu bekennen, wie weit sollte er dann zurückweichen? Es gibt ja keine angeborenen Abgründe mehr zwischen dem Verstand und dem Unverstand, denn die Wissenschaft hat sie verquantet und aufgelöst, und deshalb wartet auch auf den Deserteur des Wissens die Freiheit, er muß nämlich eine Verkörperung wählen, die ihm zusagt, und vor ihm stehen mehr Chancen, als es Sterne am Himmel gibt. Ein schrecklich Kluger wird unter seinesgleichen zur Karika tur der Klugheit, so wie eine Bienenkönigin ohne Bienenkorb die Karikatur der Mutter wird, wenn die Unmenge Eier, die ihren Leib zum Bersten bringt, zu nichts nütze ist.
      Es kommt also zur Flucht von dieser Stelle, heimlich und mit größter Scham oder gewaltsam und in größter Panik. Dort, wo jeder so sein muß, wie er ist, bleibt er auch notgedrungen bei dem Seinen. Dort, wo jeder anders sein kann, als er ist, wird er sein Schicksal mit Sprüngen existentieller Umsteigemanöver zerstückeln. Eine solche Gesellschaft gleicht von oben einem Insektenschwarm auf einer glühenden Platte. Von weitem mutet ihre Qual wie eine Farce an, denn es belustigen einen die Sprünge von der Weisheit in den Stumpfsinn und die Früchte des Verstandes, die dazu benutzt werden, auf dem Bauch wie auf einer Trommel zu spielen, auf hundert Beinen zu laufen oder Wände mit Hirn zu tapezieren. Wenn man ein geliebtes Wesen doublieren kann, gibt es keine geliebten Wesen mehr, sondern einen Hohn auf die Liebe, und wenn man jeder sein und beliebige Überzeugungen nähren kann, ist man niemand mehr und hat keine Überzeugungen. Daher geht unsere Geschichte auf den Grund und springt von diesem Grund wieder ab, wobei sie wie ein Hampelmann an einer Schnur hüpft, und deshalb wirkt sie so unsagbar komisch.
      Die Obrigkeit reglementiert die Freiheit, aber sie markiert auf diese Weise unechte Grenzen, die der Aufruhr angreift, weil man einmal vollzogene Entdeckungen nicht wieder zudecken kann. Wenn ich also sage, daß der Satan die Verkörperung der Freiheit ist, so will ich damit den Gedanken ausdrücken, daß er jene Seite des Werkes Gottes darstellt, die uns am meisten als Scheideweg der Macht des Kontinuums entsetzt, an dem wir, gelähmt durch das erreichte Ziel, stehenbleiben. Gemäß dem naiven philosophischen Denken ›sollte‹ die Welt uns so beschränken,

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