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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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beeilte er sich hinzuzufügen, »daß wir uns für die Zerstörung, für die Destruktion aussprechen; gewiß würde jetzt niemand den Orden so taufen, aber dieser Name ist die Frucht eines gewis sen theologischen Trotzes, der die bereits überwundenen Krisen der Kirche widerspiegelt.«
      Ich kniff die Augen zusammen, denn wir waren an eine Stelle gelangt, an der der Kanal durch einen Gewölbeeinsturz teilweise an die Bodenoberfläche hinausführte, und ich konnte lange nicht die Lider heben, so sehr war ich der Sonne entwöhnt. Wir befanden uns auf einer Ebene, die keinerlei Spuren von Vegetation zeigte; die Stadt stand mit der bläulichen Silhouette der Hochhäuser am Horizont, glatte, breite Straßen, die in verschiedene Richtungen führten, durchschnitten den Raum; sie schienen aus silbrigem Metall gegossen zu sein und waren völlig leer, ebenso wie der Himmel, über den nur ein paar bauchige weiße Wolken zogen.
      Unsere Reittiere, die sich nun besonders unbeholfen bewegten, denn die Straße war für hohe Geschwindigkeiten geschaffen, schritten langsam, quietschend dahin, auch sie schienen von den Strahlen der Sonne geblendet zu sein, an die sie nicht gewöhnt waren. Wir näherten uns einer Wegverkürzung, die den Mönchen vertraut war, doch bevor wir die Betonrinne erreichten, die von neuem in den Boden drang, tauchte zwischen den Bögen eines Viadukts ein kleines Gebäude von smaragdener und goldener Farbe auf, sicherlich eine Tankstelle, sagte ich mir. Daneben stand ein Fahrzeug, flach wie eine große Küchenschabe; die Form war offenbar der Geschwindigkeit angepaßt. Das Gebäude hatte keine Fenster, nur halbdurchsichtige Wände, durch die das Sonnenlicht in das Innere drang wie durch ein Kirchenfenster. Als unsere weit auseinandergezogene Kolonne etwa sechzig Schritt davon entfernt war, vernahm ich von dort ein so schreckliches Stöhnen und Röcheln, daß sich mir die Haare sträubten. Die Stimme – es war eine menschliche, das stand für mich fest – röchelte und stöhnte abwechselnd, und ich zweifelte nicht im geringsten daran, daß es sich um die Schreie eines Gemarterten handelte, vielleicht wurde sogar jemand umgebracht. Ich sah meine Gefährten an, aber die schenkten dem nicht die geringste Beachtung.
      Ich wollte ihnen zurufen, daß wir uns beeilen sollten, aber das Entsetzen darüber, daß ihnen das Schicksal eines Gefolterten so gleichgültig sein konnte, nahm mir die Stimme, also sprang ich von dem eisernen Vierbeiner herunter und rannte los, ohne mich umzusehen. Noch ehe ich das Gebäude erreicht hatte, trat nach einem kurzen, röchelnden Aufschrei Stille ein. Das Gebäude war ein Pavillon mit beschwingten Formen, eine Tür war nicht zu sehen; ich umkreiste ihn einmal und blieb wie angewurzelt vor einer Wand aus durchsichtigem bläulichem Glas stehen: Auf einem blutbespritzten Tisch ruhte eine nackte Gestalt zwischen irgendwelchen Apparaten, die funkelnde Röhrchen oder Zangenarme in den menschlichen Körper bohrten, der in einer so verkrampften Stellung dalag, daß ich die Arme nicht von den Beinen unterscheiden konnte. Ich sah auch den Kopf nicht oder das, was an seiner Stelle war; dieser Teil der Gestalt war von einem schweren Metallgehäuse umschlossen, das von oben heruntergelassen war, gespickt mit nadelförmigen Dornen. Aus den zahllosen Wunden des Leichnams floß kein Blut mehr, das Herz hatte zu schlagen aufgehört. An den Füßen spürte ich den von der Sonne erhitzten Sand, in meinen Ohren tönten noch immer die anklagenden Schreie dieses Dychthoniers; ich stand da, bestürzt über die Greueltat, betroffen vor Angst, völlig konsterniert angesichts dieser unbegreiflichen Szenerie, denn die Leiche war allein – ich spähte in alle Winkel dieser Stätte der maschinellen Folterung, ohne jemanden zu erblicken. Dann näherte sich mir von hinten eine Kapuzengestalt – ich spürte es eher, als ich es hörte –, und als ich aus dem Augenwinkel erkannte, daß es der Prior war, versetzte ich heiser: »Was ist das? Wer hat ihn getötet? Was…?«
      Er verharrte wie eine Bildsäule neben mir, und mir versagte die Stimme – mir wurde bewußt, daß es ja wirklich nur eine eiserne Bildsäule war; unter der Erde hatten die verhüllten Gestalten der Mönche in ihren spitzen Kapuzen nicht so unheimlich fremd ausgesehen wie hier, im Sonnenlicht, inmitten der weißen Geometrie der Wege, vor dem klaren Hintergrund des Horizonts. Die Leiche dort, hinter der Glaswand, die sich in den

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