Sterntagebücher
Standardisierung durch, die zunächst als Erlösung betrachtet wurden. Er war ein Verfechter des aufgeklärten und humanitären Absolutismus, daher ließ er es nicht zur völligen Ausrottung der degenerierten Formen aus dem 29. Jahrhundert kommen, sondern er empfahl, sie in besonderen Reservaten zu konzentrieren; übrigens befand sich am Rande eines solchen Reservats unter den Ruinen der einstigen Provinzhauptstadt das unterirdische Kloster der Destruktianermönche, in dem ich Schutz gefunden hatte. Nach dem Beschluß D. Glaubons sollte jeder Bürger ein solcher Eingeschlechtiger sein, der von vorn und von hinten gleich aussah. Glaubon verfaßte die »Gedanken«, ein Werk, in dem er sein Programm darlegte. Er nahm der Bevölkerung das Geschlecht, weil er darin die Ursachen des Niedergangs sah; die Wollustzentren beließ er seinen Untertanen nach ihrer Vergesellschaftung. Er beließ ihnen auch den Verstand, denn er wollte nicht über Schwachsinnige herrschen, sondern als Erneuerer der Zivilisation gelten.
Aber Verstand bedeutet im Grunde die Existenz verschiedener, also auch unorthodoxer Ideen. Die illegale Opposition ging in den Untergrund und widmete sich düsteren, gegen die Geschlechtslosigkeit gerichteten Orgien – das behauptete wenigstens die Regierungspresse. Glaubon verfolgte zwar die Oppositionellen nicht, aber Pater Darg versicherte mir, daß die Regierungspresse in ihrem Eifer übertrieb. Die Oppositionellen nahmen demonstrativ neue Formen an (Streifige, Hintrige), und schließlich sollen im Untergrund auch sogenannte Doppelhintrige gewirkt haben, die verkündeten, man brauche den Verstand nur, um zu begreifen, daß man sich seiner so schnell wie möglich entledigen müsse, denn er sei der Urheber aller historischen Niederlagen. An die Stelle des Kopfes setzten sie das, was wir für sein Gegenteil halten; sie behaupteten, er sei störend, schädlich, ja banal. Den Hintrigen gefiel der Kopf nicht, also verwarfen sie ihn, und das Hirn verlegten sie nach unten. Von dort schaute es mit einem Bauchnabelauge in die Welt und mit einem zweiten, das hinten angebracht war, noch etwas tiefer.
Nachdem eine gewisse Ordnung eingeführt worden war, verkündete Glaubon den Plan einer tausendjährigen Stabilisierung der Gesellschaft dank der sogenannten Hedalgetik. Ihrer Einführung ging eine große Pressekampagne unter der Losung »Der Sex im Dienste der Arbeit!« voraus. Jedem Bürger wurde ein Arbeitsplatz zugewiesen, und die Ingenieure der Nervenwege verbanden die Neuronen seines Hirns dergestalt, daß er nur dann Wollust empfand, wenn er gehörig arbeitete. Ob also jemand Bäume pflanzte oder Wasser schleppte, er schwamm förmlich in Wonne, und je mehr er arbeitete, desto intensiver war die Ekstase, die er empfand. Aber die dem Verstand eigene Durchtriebenheit untergrub auch diese, wie man meinen möchte, untrügliche soziotechnische Methode. Die Nonkonformisten zum Beispiel betrachteten das bei der Arbeit empfundene Glücksgefühl als eine Form des Zwanges. Sie widersetzten sich der Arbeitslust (Laboribido) und taten entge gen dem Verlangen, das sie zu der ihnen empfohlenen Arbeit drängte, nicht das, wozu ihr Trieb sie lockte, sondern das Gegenteil: Wer Wasserträger sein sollte, sägte Holz, und wer Holz zerkleinern sollte, schleppte Wasser – alles im Rahmen der regierungsfeindlichen Manifestationen. Die Verstärkung der vergesellschafteten Lustgefühle, die auf Glaubons Befehl mehrfach vorgenommen wurde, fruchtete nichts, sie hatte lediglich zur Folge, daß die Historiker die Jahre der Glaubon-Herrschaft als die Ära der Märtyrer bezeichneten. Der Biolizei fiel es immer schwerer, schuldhafte Ausschreitungen zu erkennen, denn wer in flagranti beim Empfinden von Qualen ertappt wurde, behauptete heuchlerisch, er stöhne vor Wonne. Glaubon zog sich tief enttäuscht aus dem biotischen Leben zurück, denn er sah, daß der Ruin seines großen Plans nicht mehr aufzuhalten war.
Später, an der Wende vom 31. zum 32. Jahrhundert, kam es zu Diadochenkämpfen; der Planet zerfiel in Provinzen, die von Bürgern bewohnt wurden, welche nach den Empfehlungen der lokalen Behörden geformt waren. Das war bereits die Zeit der postmonstrolytischen Gegenreformation. Aus früheren Jahrhunderten waren die Anhäufungen der halbeingestürzten Städte und Zuchtstätten übriggeblieben, Reservate, die nur sporadisch von Kontrollstreifen aufgesucht wurden, verlassene Sexostraßen und andere Überreste der Vergangenheit, die
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