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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Arbeit leisten, wenn diese modernen Mittel uns zur Verfügung stehen?«
      »Das sagst du doch wohl nicht im Ernst, Pater!« rief ich. »Das verstieße doch gegen die Ethik!«
      Der Prior zuckte mit den Achseln.
      »Du redest so, weil du ein Kind einer anderen Epoche bist. Sicherlich glaubst du, wir würden dann mit List und Zwang handeln, das heißt mit der Taktik einer ›Kryptokonversion‹, indem wir heimlich irgendwelche Chemikalien ausstreuen oder mit Wellen oder Schwingungen die Köpfe verbilden. Aber so ist es ja gar nicht! Einst gab es Dispute zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen, und das einzige Instrument, die einzige benutzte Waffe auf beiden Seiten war die Wortgewalt des Arguments (ich denke nicht an ›Dispute‹, bei denen das Argument der Marterpfahl, der Scheiterhaufen oder das Beil waren). Gegenwärtig würde sich ein analoger Disput mit den Mitteln der technischen Argumentation vollziehen. Wir würden mit bekehrenden Instrumenten wirken, und die verhärteten Opponenten würden mit Mitteln zum Gegenangriff übergehen, die uns in ihrem Sinne umwandeln oder zumindest sie gegen diese Art des Missionierens widerstandsfähig machen sollten. Die Chancen beider Seiten auf den Sieg würden von der Wirksamkeit der verwendeten Techniken abhängen, so wie einst die Siegeschancen im Disput von der Wirksamkeit der Ausführungen abhingen. Bekehren heißt nämlich soviel wie eine zum Glauben zwingende Information vermitteln.«
      »Und dennoch«, versteifte ich mich, »wäre das kein echtes Bekehren! Ein Präparat, das das Verlangen nach Glauben und den Hunger nach Gott hervorruft, verfälscht ja den Geist, es spricht nicht seine Freiheit an, sondern übt Zwang auf ihn aus und vergewaltigt ihn!«
      »Du vergißt, mit wem und wo du sprichst«, erwiderte der Prior. »Seit sechshundert Jahren gibt es bei uns keinen einzigen ›natürlichen‹ Verstand mehr. Also gibt es auch nicht die Möglichkeit, zwi schen aufgezwungenem und natürlichem Denken zu unterscheiden, denn niemand braucht einem den heimlichen Gedanken aufzuzwingen. Man zwingt etwas Ursprüngliches und zugleich Endgültiges auf – das Hirn!«
      »Aber auch dieses aufgezwungene Hirn besitzt seine unangetastete Logik!« erwiderte ich.
      »Das stimmt. Aber eine Gleichsetzung der einstigen und der gegenwärtigen Dispute über Gott würde nur dann ihren Sinn verlieren, wenn zugunsten des Glaubens eine logisch unwiderlegbare Argumentation existierte, die den Geist mit der gleichen Macht zur Billigung des Resultats zwänge, wie das die Mathematik tut. Nach unserer Theodizee kann es eine solche Argumentation nicht geben. Daher kennt die Glaubensgeschichte Apostasen und Häresien, während die Geschichte der Mathematik keine analoge Abtrünnigkeit aufweist, denn es gab nie jemanden, der nicht eingesehen hätte, daß es nur eine Methode gibt, eins und eins zu addieren, und daß das Ergebnis dieser Operation die Zahl zwei ist. Aber Gott kann man nicht mathematisch beweisen. Ich werde dir schildern, was vor zweihundert Jahren geschehen ist.
      Ein Computerpater war mit einem ungläubigen Computer zusammengestoßen. Der letztere, als das neuere Modell, verfügte über Mittel informativen Wirkens, die unserem Geistlichen unbekannt waren. Er hörte sich also dessen Argumentation an und sagte dann: ›Sie haben mich informiert, und jetzt werde ich Sie informieren, was nicht den millionsten Teil einer Sekunde dauern wird – warten wir nach meiner Erklärung auf Ihre Verklärung!‹ Danach informierte er unseren Pater aus der Entfernung blitzschnell um, so daß dieser den Glauben verlor. Was sagst du nun?«
      »Nun, wenn das kein Zwang war, dann weiß ich nicht!« rief ich. »Bei uns heißt das Manipulation des Geistes.«
      »Manipulation des Geistes«, sagte Pater Darg, »bedeutet, dem Geist unsichtbare Bande nach der gleichen Methode anzulegen, wie man sie dem Körper sichtbar anlegen kann. Das Denken ist wie die Schrift, die aus der Hand fließt, und die Manipulation des Geistes ist wie ein Festhalten der schreibenden Hand, damit sie andere Zeichen setzt. Das ist offensichtliche Gewalt. Aber jener Computer handelte nicht so. Jede Schlußfolgerung wird aus Daten errichtet; und in der Diskussion zu überzeugen bedeutet, mit den gesprochenen Worten Daten im Kopf des Opponenten zu verschieben. Der Computer tat ebendies, aber nicht mit dem gesprochenen Wort. In informatorischer Hinsicht tat er also nichts anderes als ein gewöhnlicher

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