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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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daß mich an der linken Ferse etwas drückte; ich zog den Schuh aus und schüttelte unter Tränen ein Steinchen aus der Socke, ein Krümelchen von waschechtem irdischem Kies. Es war wohl auf dem Flugplatz hineingeraten, während ich die Stufen zur Rakete erklomm. Ich preßte dieses winzige und doch so teure Stückchen Erde an die Brust und erreichte, nunmehr seelisch gefestigt, das Ziel. Dieses Andenken habe ich besonders in mein Herz geschlossen.
      Auf einem Samtkissen ruht daneben ein gewöhnlicher gebrannter Lehmziegel, gelbrosa, ein wenig rissig und an einem Ende leicht abgebröckelt. Nur dem Zufall und meiner Geistesgegenwart ist es zu danken, daß ich nicht durch ihn umgekommen bin und so von meiner Expedition zum Nebel der Jagdhunde zurückkehren konnte. Ich führte diesen Ziegelstein stets auf meinen Fahrten in die kältesten Gegenden des Weltraums mit. Vor dem Schlafengehen pflegte ich ihn eine Weile in den Atommotor zu stecken, um ihn dann gut vorgewärmt ins Bett zu legen. Im linken oberen Quadranten der Milchstraße, dort, wo sich die Sternwolke des Orion mit den Sternbildern des Schützen vereinigt, wurde ich, mit geringer Geschwindigkeit fliegend, Zeuge des Zusammenstoßes zweier Riesenmeteore. Das Schauspiel dieser feurigen Explosion in der Finsternis erregte mich so sehr, daß ich nach einem Handtuch langte, um mir die Stirn zu wischen. Ich vergaß, daß ich zuvor den Ziegelstein hineingewickelt hatte, hob also den Arm voller Schwung – und hätte mir beinahe den Schädel zerschmettert. Zum Glück vermochte ich die Gefahr mit dem mir angeborenen Scharfsinn rechtzeitig zu erfassen.
      Gleich neben dem Ziegelstein steht ein Holzkästchen; es birgt mein Taschenmesser, den treuen Gefährten ungezählter Flüge. Wie sehr ich an ihm hänge, mag die Geschichte bezeugen, die ich jetzt erzählen will; sie verdient es fürwahr.

    Ich verließ Satellina um zwei Uhr nachmittags mit heftigem Schnupfen. Der dortige Arzt, den ich konsultierte, hatte sich erboten, mir die Nase abzuschneiden – ein für die Bewohner jenes Planeten geringfügiger Eingriff, da bei ihnen die Nasen nachwachsen wie bei uns die Fingernägel. Empört über dieses Ansinnen, begab ich mich stracks zum Flugplatz, um Himmelsgegenden aufzusuchen, in denen die Medizin weiter ist. Die Reise stand unter einem unglücklichen Stern. Schon zu Beginn, als ich mich kaum 900.000 Kilometer von dem Planeten entfernt hatte, fing ich das Rufzeichen einer Rakete auf und fragte per Funk, wer dort fliege. Zur Antwort erhielt ich den gleichen Satz. »Sag du’s zuerst!« erwiderte ich schärfer, gereizt durch die Unhöflichkeit des Fremden. »Sag du’s zuerst«, entgegnete jener. Dieses Nachäffen erzürnte mich solchermaßen, daß ich die Unverschämtheit des unbekannten Reisenden beim Namen nannte. Er blieb mir nichts schuldig; das Wortgefecht artete immer mehr aus, bis ich nach etwa fünfzehn Minuten, als mein Zorn den Gipfelpunkt erreicht hatte, feststellen mußte, daß gar keine zweite Rakete vorhanden und die Stimme, die ich vernommen hatte, einfach das Echo meiner eigenen Funksignale war. Sie wurden von der Oberfläche des Satellitenmondes reflektiert, an dem ich gerade vorbeizog. Ich hatte ihn bisher nicht gesehen, denn er kehrte mir seine dunkle Nachtseite zu.
      Als ich mir eine Stunde später einen Apfel schälen wollte, bemerkte ich, daß mein Taschenmesser fehlte. Doch fiel mir gleich ein, wo ich es zuletzt gebraucht hatte: im Ausschank auf dem Flugplatz der Satellina; ich hatte es auf das schräge Büfett gelegt, und es war wohl in einer Ecke heruntergerutscht. Ich sah das so greifbar vor mir, daß ich es mit verbundenen Augen gefunden hätte. Ich schwenkte die Rakete herum, doch hier erst zeigte sich die wahre Schwierigkeit: Der ganze Himmel war übersät mit flimmernden Lichtern, und ich wußte nicht, welches davon die Satellina war.
      Dies ist einer von 1480 Planeten, die um die Sonne Eripelase kreisen. Die meisten besitzen obendrein je zehn bis fünfzehn Monde, groß wie Planeten, was die Orientierung noch mehr erschwert. In meiner Hilflosigkeit versuchte ich die Satellina durch Funk zu rufen. Darauf meldeten sich ungefähr hundert Stationen gleichzeitig, so daß ein fürchterlicher Wellensalat entstand; man muß nämlich wissen, daß die Bewohner des Eripelasesystems ebenso liebenswürdig wie liederlich sind und wohl zweihundert Planeten auf den Namen »Satellina« getauft haben. Ich betrachtete also durch meine Fensterluke die

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