Sterntagebücher
in die blaue Ferne. Auch mit den futurologischen Arbeiten der dychthonischen Körperkenner konnte ich mich vertraut machen und gewann den Eindruck, daß sich die Automorphie insgesamt auf einem toten Punkt ihrer Entwicklung befand, obwohl sich die Experten bemühten, die Stagnation zu durchbrechen; einen Artikel des Professors Sakkobert Graus, des Direktors des KAKÖPSYP, im Monatsheft »Die Stimme des Körpers« beschlossen die Worte: »Wie kann man sich nicht umgestalten, wenn man sich umgestalten kann? «
Ich war von dem intensiven Studium all dieser Werke so erschöpft, daß ich den letzten Stoß Bücher in die Bibliothek zurücktrug und dann eine ganze Woche nichts weiter tat, als mich im Möbelhain zu sonnen.
Ich fragte den Prior, was er von der biotischen Situation halte. Nach seiner Ansicht gab es für die Dychthonier keine Rückkehr zu menschlichen Formen, denn sie hatten sich zu weit davon entfernt. Diese Formen riefen infolge der Jahrhunderte währenden Indoktrination solche Vorurteile und eine so allgemeine Abscheu hervor, daß sogar sie – die Roboter – ihre Gestalt ganz verhüllen mußten, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zeigten. Ich fragte ihn dann – wir waren allein nach dem Abendbrot im Refektorium –, welches der eigentliche Sinn der Ordenstätigkeit und des Glaubens innerhalb einer solchen Zivilisation sei.
Der Prior lächelte.
»Diese Frage habe ich erwartet«, sagte er. »Ich werde dir darauf zweimal antworten. Das eine Mal ganz einfach, das andere Mal subtiler. Der Duismus ist zunächst nichts weiter als eine Doppeldeutigkeit. Gott ist ein Geheimnis in einem solchen Maße, daß man keine volle Gewißheit selbst in der Frage seiner Existenz haben kann. So gibt es ihn also entweder, oder es gibt ihn nicht, und daher rührt die ethymologische Wurzel der Bezeichnung für unseren Glauben. Und nun noch einmal, aber tiefer gefaßt: Gott als Gewißheit ist kein vollkommenes Geheimnis, wenn man ihn zumindest darin fassen und vollständig einschränken kann, daß er ist. Sein garantiertes Sein ist soviel wie eine Oase, ein Ort der Beruhigung, Trägheit des Geistes, denn gerade aus den Büchern der Religionsgeschichte kannst du vor allem die unaufhörliche, bis zum Äußersten gespannte, bis zum Wahnsinn reichende Anstrengung eines Denkens herauslesen, das stets Argumente und Beweise seiner Existenz sammelte und sie jedesmal, wenn sie in Bruchstücke zerfallen waren, erneut aus den Überresten aufbaute. Wir haben dich nicht damit belästigt, dir unsere theologischen Bücher vorzulegen, aber wenn du da hineinschautest, würdest du jene weiteren Etappen der natürlichen Entwicklung des Glaubens sehen, die die jüngeren Zivilisationen noch nicht besitzen. Die Phase der Dogmatik bricht nicht plötzlich ab, sondern geht vom Zustand des Verschlossenseins in das des Offenseins über, wenn, ganz dialektisch, nach dem Dogma von der Untrüglichkeit des Hauptes der Kirche das Dogma von der unvermeidlichen Fehlbarkeit jeglichen Denkens in den Fragen des Glaubens begründet wird, das kurz und bündig so formuliert ist: ›Nichts von dem, was hier gesagt werden kann, entspricht dem, was dort währt.‹ Es kommt zu einer weiteren Hebung des Abstraktionsniveaus: Bedenke bitte, daß die Distanz zwischen Gott und dem Verstand sich im Verlauf der Zeit überall und immer vergrößert.
Nach der altertümlichen Offenbarung hatte sich Gott stets in alles eingemischt, die Guten nahm er lebendig in den Himmel, die Bösen übergoß er mit Schwefel, er kauerte hinter dem ersten besten Strauch. Erst später begann das Sichentfernen, Gott verlor die Augenscheinlichkeit, seine Menschengestalt, die Bärtigkeit, es verschwanden die Schulhilfsmittel der Wunder und so anschauliche Demonstrationen wie die Umsiedlung von Dämonen in Schafböcke oder die Kontrollbesuche der Engel; mit einem Wort – der Glaube kam ohne die Zirkusmetaphysik aus; so ging er aus der Sphäre der Sinne in die Sphäre der Abstraktionen über. Es fehlte auch dann nicht an Beweisen für seine Existenz, weder an Sanktoren, ausgedrückt in der Sprache der höheren Algebra, noch an der mehr als elitären Hermeneutik. Diese Abstraktionen gelangen schließlich an den Punkt, an dem der Tod Gottes verkündet wird, um jene Art von eiserner, eisiger und herzzerreißender Ruhe zu erreichen, die den Lebenden gebührt, wenn die am meisten Geliebten sie für immer verlassen.
Das Manifest über den Tod Gottes ist somit ein weiteres
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