Sterntagebücher
früherer Disputant, nur daß die Übermittlung anders vor sich ging. Und er konnte so verfahren, weil er dank seiner Fähigkeit den Geist unseres Paters durch und durch kannte. Stell dir vor, daß ein Schachspieler nur das Schachbrett mit den Figuren sieht, während der andere außerdem die Gedanken des Gegners wahrnimmt. Dieser wird jenen bestimmt besiegen, obwohl er ihn in nichts vergewaltigen wird. Was meinst du, was haben wir mit unserem Geistlichen getan, als er zu uns zurückkehrte?«
»Ihr habt doch hoffentlich so gehandelt, daß er wieder glauben konnte…«, sagte ich zögernd.
»Wir haben es nicht getan, denn er verweigerte seine Zustimmung. Wir konnten es also nicht tun.«
»Jetzt begreife ich nichts mehr! Ihr hättet doch genauso gehandelt wie sein Widersacher, nur umgekehrt.«
»Aber nein. Nicht mehr, denn dieser unser ehemaliger Pater wünschte sich keine weiteren Dispute. Der Begriff ›Disput‹ hat sich gewandelt und erheblich erweitert, bedenke das. Wer jetzt in die Schranken tritt, muß nicht nur auf Wortangriffe gefaßt sein. Unser Pater hatte leider eine traurige Ignoranz und Naivität bewiesen; er war gewarnt worden, jener hatte ihm im voraus seine Überlegenheit angekündigt, aber es wollte ihm nicht in den Sinn, daß sein unerschütterlicher Glaube jemals unterliegen könnte. In theoretischer Hinsicht gibt es einen Ausweg aus dieser eskalatorischen Falle: Man müßte ein Hirn so präparieren, daß es zur Berücksichtigung aller Varianten aller möglichen Daten fähig wäre, da aber ihre Anzahl von unendlicher Potenz ist, könnte nur ein unendlicher Geist metaphysische Gewißheit erlangen. Und ein solcher läßt sich bestimmt nicht konstruieren. Denn wie auch immer wir bauen – wir bauen in endlicher Weise, und wenn es einen unendlichen Computer gibt, so ist das nur Er.
So kann also auf der neuen zivilisatorischen Ebene der Streit um Gott nicht nur mit neuen Techniken geführt werden, sondern er muß damit geführt werden, wenn man ihn überhaupt führen will. Die informatorische Waffe hat sich nämlich auf beiden Seiten genauso verändert, die Kampfsituation wäre symmetrisch und dadurch identisch mit der Situation in den mittelalterlichen Disputen. Das neue Missionieren kann man nur dann als unmoralisch ansehen, wenn man das alte Bekehren der Heiden oder die Streitigkeiten der früheren Theologen mit den Atheisten für unmoralisch hält. Ein anderer Modus für die Missionsarbeit ist gegenwärtig nicht mehr möglich, denn wer heute gläubig werden möchte, wird bestimmt gläubig werden, und wer gläubig ist und den Glauben verlieren möchte, wird ihn bestimmt verlieren – und zwar dank den richtigen Eingriffen.«
»Also könnte man nun auf das Willensorgan einwirken, um den Wunsch nach Glauben zu erzeugen?« fragte ich.
»So ist es in der Tat. Wie du weißt, wurde einst die Äußerung geprägt, Gott sei auf seiten der stärkeren Bataillone. Gegenwärtig würde er sich, im Sinne der technogenen Kreuzzüge, auf der Seite der stärkeren Bekehrungsapparate befinden, aber wir glauben nicht, daß es unsere Aufgabe ist, uns in einen solchen Wettlauf von theodiktischen, sakral-antisakralen Rüstungen einzulassen, wir wollen nicht den Weg einer Eskalation beschreiten, die dahin führt, daß wir einen Konvertor bauen und sie einen Antikonvertor, daß wir bekehren und sie das rückgängig machen. Dieses Ringen würde Jahrhunderte hindurch gehen, wir würden unsere Klöster in Schmieden immer wirksamerer Mittel und Taktiken zum Wecken von Glaubensdurst verwandeln!«
»Ich kann nicht begreifen«, sagte ich, »wie es möglich ist, daß es keinen anderen Weg gibt außer dem, den du mir zeigst, Pater. Aller Vernunft ist doch die gleiche Logik gemeinsam? Und der natürliche Verstand?«
»Die Logik ist ein Werkzeug«, erwiderte der Prior, »und aus einem Werkzeug resultiert nichts. Es muß einen Schaft und die lenkende Hand haben. Diesen Schaft und diese Hand kann man bei uns formen, wie es einen gelüstet. Und was den natürlichen Verstand betrifft – sind denn etwa ich und meine Mönchsbrüder natürlich? Wie ich dir bereits gesagt habe, stellen wir Schrott dar, und unser Credo ist für jene, die uns zunächst angefertigt und später weggeworfen haben, nur ein Nebenprodukt, das Gestammel dieses Schrotts. Wir haben die Freiheit des Denkens erhalten, weil die Industrie, für die man uns gebaut hat, das eben erforderte. Höre aufmerksam zu. Ich werde dir jetzt ein
Weitere Kostenlose Bücher