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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Gebüsch, und in dieser mittäglichen Stille hob der greise Dominikanerprior an, mir sein sorgenschweres Herz auszuschütten; er klagte über die Schwierigkeiten, die in diesen Regionen jede Missionsarbeit hemmen. Die Quintolen zum Beispiel, die auf der heißen Antilene leben und schon bei 600 Grad Celsius frieren, wollen vom Paradies nichts wissen, hingegen stoßen die Schilderungen der Hölle bei ihnen auf lebhaftes Interesse, weil dort die Bedingungen so günstig seien (siedendes Pech, Flammen). Überdies weiß man nicht so recht, wer von ihnen in den Priesterstand treten darf, da sie fünf verschiedene Geschlechter haben; das ist für die Theologen ein heikles Problem.
      Ich äußerte mein Bedauern; Pater Lazimon fuhr achselzuckend fort: »Ach, das ist noch gar nichts. Die Bischuten zum Beispiel halten die Auferstehung für etwas Alltägliches wie das Ankleiden und wollen diese Erscheinung unter keinen Umständen als Wunder anerkennen. Die Dartriden von der Ägilla haben weder Hände noch Füße, sie können sich nur mit dem Schwanz bekreuzigen, aber ob das statthaft ist, vermag ich allein nicht zu entscheiden; ich warte auf die Antwort vom Apostolischen Stuhl – doch der Vatikan hüllt sich schon seit zwei Jahren in Schweigen… Und haben Sie von dem grauenvollen Ende gehört, das der bedauernswerte Pater Oribas aus unserer Mission genommen hat?«
      Ich verneinte.
      »So lassen Sie sich’s berichten. Schon die ersten Entdecker der Urtama waren des Lobes voll über ihre Bewohner, die mächtigen Memnogen. Allgemein herrscht die Auffassung, daß diese vernunftbegabten Altruisten zu den gefälligsten, sanftesten und gutmütigsten Geschöpfen des ganzen Universums gehören. In der Meinung also, auf solchem Boden müsse die Saat des Glaubens besonders gut aufgehen, sandten wir Pater Oribas zu den Memnogen und ernannten ihn zum Bischof in partibus infidelium. Der Ankömmling wurde von den Memnogen so herzlich empfangen, wie man es sich nicht besser wünschen konnte; sie umgaben ihn mit allen Ehren und waren rührend besorgt um ihn, hingen an seinen Lippen, lasen ihm jeden Wunsch von den Augen ab, nahmen lechzend seine Lehren auf – mit einem Wort: Er hatte sie völlig in der Hand. In den Briefen, die ich von ihm erhielt, fand er keine Worte, sie zu loben, der Unglückselige…«
      Hier wischte sich der Dominikaner mit dem Zipfel seines Habitus eine Träne aus dem Auge.
      »In dieser günstigen Atmosphäre wurde Pater Oribas es Tag und Nacht nicht müde, die Glaubenssätze zu verkünden. Nachdem er die Memnogen mit der Geschichte des Alten und des Neuen Testaments, mit der Apokalypse und den Apostelbriefen vertraut gemacht hatte, ging er zu den Heiligenleben über; besonderen Eifer verwandte er darauf, die heiligen Märtyrer zu lobpreisen. Der Arme… es war schon immer seine Schwäche gewesen…«
      Pater Lazimon wurde mühsam seiner Rührung Herr und fuhr mit bebender Stimme fort:
      »Er predigte ihnen also vom heiligen Johannes, der des Himmelreichs teilhaftig wurde, als man ihn bei lebendigem Leibe in Öl sott, von der heiligen Agnes, die sich um des Glaubens willen den Kopf abschlagen ließ, vom heiligen Sebastian, der, von vielen Pfeilen durchbohrt, grausame Qualen erlitt und dafür im Paradies von Engelsang empfangen wurde, von heiligen Jünglingen, die gevierteilt, gewürgt, aufs Rad geflochten und über kleinem Feuer geröstet wurden. Bewundernd hörten sie ihn über diese Qualen berichten, wußten sie doch, daß sie auf diese Weise einen Platz zur Rechten des Herrn aller himmlischen Heerscharen erwerben würden. Als er ihnen noch viele solche nachahmenswerte Lebensläufe erzählt hatte, sahen die Memnogen, dem Sinn seiner Worte lauschend, einander verstohlen an, der größte von ihnen aber faßte sich ein Herz und fragte zaghaft: ›Hochwürden, Gottesprediger und geschätzter Pater, sage uns bitte, falls du dich zu deinen nichtswürdigen Dienern herablassen willst, ob die Seele eines jeden, der zum Martyrium bereit ist, in den Himmel kommt?‹
      ›Zweifellos, mein Sohn‹, entgegnete Pater Oribas.
      ›Sooo? Sehr gut…‹, sagte der Memnoge gedehnt. ›Und möchtest auch du, geistlicher Vater, in den Himmel gelangen?‹
      ›Dies ist mein innigster Wunsch, mein Sohn.‹
      ›Würdest du auch ein Heiliger werden wollen?‹ fragte der große Memnoge weiter.
      ›Lieber Sohn, wer möchte das nicht, aber wie könnte ich armer Sünder einer so hohen Ehrung teilhaftig

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