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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Myriaden winziger Lichtfünkchen; einer davon beherbergte mein Taschenmesser. Sicherlich wäre es jedoch leichter gewesen, eine Stecknadel in einem Heuschober als den richtigen Planeten in diesem Sterngewimmel ausfindig zu machen. Zu guter Letzt überließ ich es dem Zufall und raste auf den Planeten zu, den meine Raketenspitze gerade anpeilte.
      Eine Viertelstunde später landete ich. Der Flughafen glich aufs Haar dem, von dem ich um zwei Uhr gestartet war; höchst erfreut also, daß mir das Glück so hold sei, begab ich mich geradenwegs zum Büfett. Wie groß war jedoch meine Enttäuschung, als ich das Messer trotz genauester Nachforschungen nicht wiederfand. Nach reiflicher Überlegung gelangte ich zu dem Schluß, daß es wohl jemand mitgenommen habe oder daß ich auf einem falschen Pla neten gelandet war. Als ich mich bei den Einheimischen erkundigt hatte, gab es keinen Zweifel mehr, daß die zweite Vermutung richtig war. Ich befand mich auf der Andrigona, einem alten, versandeten, völlig morschen Planeten, der längst aus dem Umlauf hätte gezogen werden müssen; aber man scherte sich wenig um ihn, denn er liegt weit entfernt von den Raketenmagistralen. Im Hafen wurde ich gefragt, welche Satellina ich suchte, denn die Himmelskörper dieses Namens seien numeriert. Jetzt saß ich erst richtig in der Klemme, ich hatte nämlich die Nummer vergessen. Durch die Direktion des Flughafens in Kenntnis gesetzt, marschierten indessen die örtlichen Behörden auf, um mich feierlich willkommen zu heißen.
      Es war ein großer Tag für die Andrigonen; in den Schulen wurden gerade Reifeprüfungen abgehalten. Ein Regierungsvertreter fragte, ob ich nicht ein solches Examen mit meiner Anwesenheit beehren wollte; da man mich sehr gastlich empfangen hatte, konnte ich die Bitte nicht abschlagen. So fuhren wir denn mit einer Schlunke (das sind schlangenähnliche Reptilien ohne Gliedmaßen, die dort allgemein als Reittiere benutzt werden) stracks in die Stadt. Der Regierungsvertreter stellte mich der zahlreich versammelten Jugend und dem Lehrkörper als einen Gast vom Planeten Erde vor und verließ daraufhin den Saal. Die Lehrer führten mich zu dem Ehrenplatz an der Nährte (einer Art Tisch), und die Prüfungen wurden fortgesetzt. Zunächst fühlten sich die Schüler durch meine Anwesenheit beengt und stotterten verwirrt, ich suchte ihnen durch herzliches Lächeln Mut einzuflößen und sagte diesem oder jenem gar ein Wort vor. So war bald das Eis gebrochen. Zum Schluß antworteten sie immer besser. Als letzter trat ein junger Andrigone vor die Prüfungskommission, der mit so schönen Scheußein (austerähnliche Gebilde, die als Kleidung verwendet werden) bewachsen war, wie ich sie lange nicht gesehen hatte, und hob an, mit unerreichbarer Beredsamkeit die Fragen zu beantworten. Ich hörte ihm wohlgefällig zu und konstatierte, daß sich der hiesige Wissensstand durchaus sehen lassen konnte.

      Plötzlich fragte der Prüfer: »Können Sie beweisen, warum es kein Leben auf der Erde geben kann?«
      Nach einer leichten Verbeugung setzte der Jüngling zu seiner erschöpfenden, logisch aufgebauten Argumentation an. Im einzelnen führte er aus, daß der größte Teil der Erde von kalten, unermeßlich tiefen Gewässern bedeckt sei, deren Temperatur durch schwimmende Eisberge um den Nullpunkt gehalten werde; daß nicht nur die Pole, sondern auch die umliegenden Gebiete Orte ewiger Kälte seien und daß dort das halbe Jahr lang Nacht herrsche; daß, wie man durch die astronomischen Apparate sehr gut beobachten könne, sogar Kontinente mit wärmerem Klima viele Monate mit gefrorenem Wasserdampf, dem sogenannten Schnee, bedeckt seien, der in dicken Schichten Berge und Täler verhülle; daß der große Erdmond ständig Flut- und Ebbegezeiten erzeuge, die eine zerstörende Erosionstätigkeit ausübten; daß man durch gigantische Teleskope feststellen könne, wie riesige Flächen des Planeten häufig von Halbdämmer befallen werden, was eine Folge der Wolkendecke sei, und daß entsetzliche Zyklone, Taifune und Gewitter in der Atmosphäre entständen. All das zusammengenommen schließe die Möglichkeit aus, daß es dort Leben in irgendeiner Form gebe. Wenn nun, so endete der junge Andrigone mit klangvoller Stimme, irgendwelche Lebewesen auf der Erde landeten, so würden sie unweigerlich den Tod erleiden, zermalmt von dem gewaltigen Druck der Atmosphäre, die in Höhe des Meeresspiegels ein Kilogramm pro Quadratzentimeter, das heißt 760

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