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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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ist, daß seine Bewohner nur auf einem Bein stehend Platz darauf fänden, wollten sie alle auf einmal ihre Wohnungen verlassen. Professor Tarantoga gilt zwar unumstritten als Autorität, aber diese Behauptung schien mir doch übertrieben, und ich beschloß, der Sache auf den Grund zu gehen.
    Die Fahrt verlief recht abwechslungsreich; an der Veränderlichen
    463 hatte mein Antrieb einen Defekt, und die Rakete begann auf den Stern unter mir hinabzusinken, was mich beunruhigte, denn die Temperatur dieses Cepheiden beträgt 600.000 Grad Celsius. Die Hitze wuchs mit jeder Sekunde und wurde schließlich so unerträglich, daß ich mich in den kleinen Kühlschrank, in dem ich meine Lebensmittel frisch halte, verkriechen mußte, um weiterarbeiten zu können – fürwahr ein sonderbarer Zufall, denn wo hätte ich jemals angenommen, daß ich mich bald in einer ähnlichen Situation befinden sollte. Zum Glück hatte ich den Schaden, rasch behoben und gelangte nun ohne weitere Behinderungen zur Erpeya. Dieser Doppelstern besteht aus zwei Sonnen: Die eine ist groß, rot wie ein glühender Ofen und nicht übermäßig heiß, die andere hingegen ist blau und strahlt eine fürchterliche Hitze aus. Der Planet selbst ist tatsächlich so klein, daß ich ihn erst fand, nachdem ich den gesamten umliegenden Weltraum abgeklappert hatte. Seine Bewohner, die Bischuten, nahmen mich sehr freundlich auf.
      Wunderbar sind die Auf- und Untergänge der beiden Sonnen, die nacheinander erfolgen, ein eigenartiges Schauspiel gibt es auch bei den Verfinsterungen. Die Hälfte der Tageseinheit scheint die rote Sonne, und dann sieht alles wie in Blut gebadet aus, in der anderen Hälfte leuchtet die blaue, und zwar so intensiv, daß man ständig die Augen zukneifen muß; trotzdem ist die Sicht noch ganz erträglich. Da die Bischuten überhaupt keine Dunkelheit kennen, nennen sie die blaue Zeit Tag und die rote Nacht. Raum gibt es auf dem Planeten in der Tat unglaublich wenig, aber die Bischuten, die sehr intelligente Wesen sind und über erhebliche Kenntnisse, vor allem physikalische, verfügen, werden glänzend mit dieser Schwierigkeit fertig; die Methode, die sie dabei anwenden, zeichnet sich allerdings durch besondere Eigenart aus. Von jedem Planetenbewohner wird in dem entsprechenden Amt mit Hilfe eines Röntgenpräzisionsgeräts eine sogenannte atomare Personenbeschreibung angefertigt, das heißt ein genauer Plan, der sämtliche Materiemoleküle, Eiweißteilchen und chemischen Verbindungen verzeichnet, aus denen sich der Körper des jeweiligen Bischuten zusammensetzt. Wenn die Schlafenszeit naht, kriecht dieser durch ein Türchen in einen Apparat, der ihn in winzige Atome zerstäubt. In dieser Gestalt verbringt er auf kleinstem Raum die Nacht, morgens setzt dann ein Wecker den Apparat zur vorherbestimmten Stunde in Gang, der fügt laut atomarer Personenbeschreibung alle Partikel in der richtigen Ordnung und Reihenfolge wieder zusammen, die Tür öffnet sich, und der wiederaufgelebte Bischute begibt sich nach mehrmaligem Gähnen an die Arbeit.
      Die Bischuten priesen mir die Vorzüge dieses Brauches: Schlaflosigkeit, Angstträume oder Alpdrücken könnten gar nicht mehr vorkommen, betonten sie, denn der Apparat pulverisiere ja den Körper zu Atomen und nehme ihm somit Leben und Bewußtsein. Dasselbe Verfahren wird in den verschiedensten Situationen angewandt, zum Beispiel in Warteräumen von Ärzten oder Behörden, wo an Stelle der Stühle kleine rosa und blau bemalte Kisten mit Apparaten stehen, ferner bei diversen Sitzungen und Versammlungen, mit einem Wort überall da, wo man zu Untätigkeit und Langeweile verurteilt ist und, ohne Nützliches zu verrichten, durch seine bloße Anwesenheit den anderen den Platz wegnimmt. In der gleichen sinnvollen Weise befriedigen die Bischuten ihre Reiselust: Man schreibt die Zieladresse auf ein Kärtchen, klebt es auf eine Kassette, stellt diese unter den Apparat, bevor man sich hineinbegibt, und gelangt zerstäubt in das Behältnis. Es besteht eine eigens für diesen Zweck eingerichtete Institution – unserer Post vergleichbar –, die solche Sendungen an die jeweilige Adresse schickt. Hat es einer besonders eilig, dann wird seine atomare Personenbeschreibung zum Bestimmungsort gedrahtet und dort nachgestaltet, dieweil der Originalbischute pulverisiert ins Archiv eingeliefert wird. Diese telegrafische Reisemethode hat, der Zeitersparnis und ihrer Einfachheit wegen, viel Verlockendes, birgt jedoch auch manche

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