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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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habe schon früher davon gehört. Vielleicht von einem Bekannten von Ihnen?«
      Ich brach beleidigend ab, er aber maß mich mit seinem entsetzlich schielenden Blick und sagte leise: »Herr Tichy, treffen wir eine Abmachung. Sie lassen Ihre Ironie – sagen wir – für eine Viertelstunde. Dann können Sie spotten, soviel Sie wollen. Einverstanden?«
      »Einverstanden«, antwortete ich, wieder in meinen trockenen Ton verfallend. »Schießen Sie los.«
      Das war kein Wichtigtuer – diesen Eindruck gewann ich jetzt. Sein Ton war zu kategorisch. Wichtigtuer sind nicht so rücksichtslos. Das ist eher ein Verrückter, dachte ich.
      »Setzen Sie sich.«
      »Die Angelegenheit ist von elementarer Bedeutung«, sagte der Mann, der sich Professor Decantor nannte. »Seit Tausenden von Jahren glauben die Menschen an die Existenz der Seele. Philosophen, Dichter, Religionsstifter, die Priester und die Kirchen bringen alle möglichen Argumente für ihre Existenz vor. Die einen behaupten, sie sei eine vom Körper losgelöste immaterielle Substanz, die nach dem Tode des Menschen dessen Identität bewahre, andere wiederum meinen – und diese Thesen entstanden unter den Denkern des Ostens –, es handle sich um eine Entelechie ohne die Merkmale einer individuellen Persönlichkeit. Aber der Glaube, daß der Mensch mit der Agonie nicht vollends aufhört zu sein, daß etwas in ihm den Tod zu überdauern vermag, hielt sich Jahrhunderte hindurch unerschütterlich in den Köpfen. Wir Heutigen wis sen, daß es keine Seele gibt. Es gibt nur ein Netz von Nervenfasern, in dem sich gewisse, mit dem Leben zusammenhängende Prozesse vollziehen. Das, was der Träger eines solchen Netzes empfindet, sein waches Bewußtsein – das eben ist die Seele. So ist es – oder vielmehr, so war es, bevor ich kam. Oder noch genauer, bevor ich mir sagte: Es gibt keine Seele, das ist bewiesen, Andererseits ist das Bedürfnis nach der unsterblichen Seele vorhanden, das Verlangen ewigen Dauerns, der Hunger nach unendlicher persönlicher Ausdehnung in der Zeit – der Vergänglichkeit und dem Zerfall alles Seienden zum Trotz. Dieses Verlangen, das in der Menschheit brennt, solange sie existiert, ist nur allzu verständlich. Weshalb also sollte man diese tausendjährige Akkumulation von Träumen und Ängsten nicht befriedigen? Zunächst erwog ich die Möglichkeit, die Menschen körperlich unsterblich zu machen, verwarf jedoch diese Variante wieder, denn sie war im Grunde nur eine Verlängerung falscher und trügerischer Hoffnungen: Die Unsterblichen können ja auch durch Unfälle und Katastrophen umkommen. Überdies würden dadurch unzählige neue Probleme aufgeworfen, das einer Überbevölkerung etwa. Es gab aber auch noch andere Gründe, die mich schließlich bewogen, die Seele zu erfinden. Nur die Seele. Weshalb, sagte ich mir, sollte man sie nicht so bauen können, wie man ein Flugzeug baut? Flugzeuge gab es doch früher auch nicht, es gab nur den Traum vom Fliegen – und jetzt gibt es sie. Als meine Überlegungen so weit gediehen waren, hatte ich das Problem im Grunde gelöst. Der Rest war nur eine Frage des entsprechenden Wissens, der Mittel und ausreichender Geduld. Ich besaß das alles, und deshalb kann ich Ihnen heute sagen: Es gibt eine Seele, Herr Tichy. Jeder kann eine haben, eine unsterbliche Seele. Ich kann sie individuell für jedermann anfertigen, mit allen Garantien für Beständigkeit. Das Wort ›ewig‹ besagt eigentlich noch nichts. Meine Seele – die Seele meiner Konstruktion – vermag das Erlöschen der Sonne zu überdauern. Die Vereisung der Erde. Ich kann damit jeden Menschen ausstatten, allerdings muß er leben. Toten kann ich keine Seele anfertigen – das ist mir nicht möglich. Ganz anders die Lebenden! Die erhalten vom Professor Decantor eine unsterbliche Seele. Nicht als Geschenk natürlich. Sie ist das Produkt einer aufwendigen Technologie, eines komplizierten arbeitsintensiven Prozesses, deshalb kann so eine Seele nicht billig sein. Bei einer Massenproduktion könnten die Kosten gesenkt werden, aber vorläufig ist eine Seele wesentlich teurer als ein Flugzeug. Zieht man jedoch in Betracht, daß es sich um die Ewigkeit handelt, so kann man wohl sagen, daß der Preis verhältnismäßig niedrig ist. Ich bin also zu Ihnen gekommen, weil die Konstruktion der ersten Seele meine Mittel völlig erschöpft hat. Deshalb schlage ich Ihnen die Gründung einer Aktiengesellschaft mit der Bezeichnung UNSTERBLICHKEIT vor. Sie

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