Sterntagebücher
Weg ab, er geht auf ein anderes Band über und nimmt auf, was sich darauf befindet: ich sage ›Rezipient‹, doch das sind im Grunde Hunderte mikroskopisch kleiner Stromsammler, denn ebenso wie Sie die Welt mit dem Blick, mit dem Geruch, mit dem Tastsinn, mit dem Gleichgewichtsorgan aufnehmen – genauso erkennt er seine ›Welt‹ vermittels getrennter Sinneseingänge, getrennter Kanäle, und erst sein elektrisches Hirn fügt all diese Eindrücke zu einer Einheit zusammen. Aber das sind unwesentliche technische Einzelheiten, Tichy. Glauben Sie mir, mit dem Augenblick, da der Mechanismus einmal in Bewegung gesetzt worden ist, war das nur eine Frage der Geduld, nichts weiter. Lesen Sie die Philosophen, und Sie werden erkennen, wie wenig man sich auf unsere Sinneseindrücke verlas sen kann, wie unzuverlässig, wie trügerisch, wie leicht irrezuführen sie sind, dabei haben wir doch nichts außer ihnen; ebenso«, fuhr er mit erhobener Hand fort, »ergeht es ihnen. Aber das hindert sie sowenig wie uns, zu lieben, zu verlangen, zu hassen. Sie können andere Menschen berühren, um sie zu küssen oder um sie zu töten… Und so geben sich diese meine Schöpfungen in ihrer ewigen eisernen Unbeweglichkeit Leidenschaften und heftigen Gefühlen hin, sie üben Verrat, empfinden Sehnsucht, sie träumen…«
»Sie meinen, daß das unfruchtbar ist?« fragte ich unerwartet.
Corcoran maß mich mit seinem durchbohrenden Blick. Lange Zeit gab er keine Antwort.
»Ja«, antwortete er schließlich, »gut, daß ich Sie hier eingeführt habe, Tichy. Jeder der Idioten, dem ich das gezeigt habe, wetterte erst einmal über meine Grausamkeit… Was wollen Sie damit sagen?«
»Sie liefern ihnen nur den Rohstoff«, sagte ich, »in der Form dieser Impulse. Ähnlich liefert die Welt sie uns. Wenn ich dastehe und zu den Sternen aufschaue – so ist das, was ich dabei empfinde, was ich denke, nur noch mein eigener Besitz, nicht der der Welt. Mit ihnen«, ich deutete auf die Reihe der Kisten, »ist es ebenso.«
»Richtig«, sagte der Professor trocken. Er stand nun gebeugt da und wirkte dadurch kleiner. »Aber da Sie das schon ausgesprochen haben, ersparen Sie mir lange Ausführungen, denn Sie begreifen doch wohl, wozu ich sie geschaffen habe?«
»Ich vermute es. Aber vielleicht sagen Sie es mir doch lieber selbst.«
»Gut. Einst – es ist schon sehr lange her, begann ich an der Realität der Welt zu zweifeln. Ich war damals noch ein Kind. Die sogenannte Tücke des Objekts, Tichy – wer hat sie nicht erfahren? Wir können eine Kleinigkeit nicht finden, obwohl wir uns genau erinnern, wo wir sie zuletzt gesehen haben, endlich finden wir sie anderswo wieder, mit dem Gefühl, die Welt in flagranti bei einer Ungenauigkeit, einer Nachlässigkeit ertappt zu haben… Die Erwachsenen sagen selbstverständlich, das sei ein Irrtum – und das natürliche Mißtrauen des Kindes wird auf diese Weise erstickt… Oder das, was man als sentiment du déjà vu bezeichnet – der Eindruck, in einer Situation, die zweifellos neu ist, die man zum erstenmal erlebt, schon einmal gewesen zu sein… Ganze metaphysische Systeme wie der Glaube an Seelenwanderung, an die Reinkarnation sind in Anlehnung an diese Erscheinungen entstanden. Und weiter: das Gesetz der Serie, die Wiederholung besonders seltener Erscheinungen, die so oft in Paaren auftreten, daß die Ärzte das in ihrer Sprache duplicitas casuum genannt haben. Und schließlich… die Geister, nach denen ich Sie gefragt habe. Gedankenlesen, Levitationen und die – zwar seltenen, aber am wenigsten mit den Grundlagen unseres Wissens zu vereinbarenden, am schwersten zu erklärenden – Fälle von Zukunftsvorhersagen… Ein Phänomen, das seit der frühesten Zeit beschrieben wird, obwohl es doch gar nicht möglich ist, da jede wissenschaftliche Anschauung der Welt es ausschließt. Und was ist das alles? Was bedeutet es? Wollen Sie es aussprechen? Dazu fehlt Ihnen doch der Mut, Tichy… Nun gut. Schauen Sie…«
Er trat an die Wand und zeigte auf die gesondert stehende Kiste auf dem höchsten Regal.
»Das ist der Wahnsinnige meiner Welt«, sagte er, und während er lächelte, wandelte sich sein Gesicht. »Wissen Sie, wozu er in seinem Wahn, der ihn von den anderen abgesondert hat, gelangt ist? Er hat sich der Suche nach der Unvollkommenheit seiner Welt gewidmet. Denn ich habe nicht behauptet, Tichy, daß diese seine Welt vollkommen sei. Der effektvollste Mechanismus kann
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