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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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unabhängige Substanz, die keine chemischen oder physikalischen Verbindungen eingeht. In ihren unaufhörlich pulsierenden Molekülen ist die Seele enthalten, eine wache und fühlende Seele…«
      »Sie Ungeheuer…«, sagte ich leise und ruhig. »Sind Sie sich dessen bewußt, was Sie da getan haben? Aber, Moment mal«, ich beruhigte mich plötzlich, »das Bewußtsein eines Menschen kann doch nicht wiederholt werden. Wenn Ihre Frau lebt, geht, denkt, so befindet sich in diesem Kristall höchstens eine Kopie, die nicht sie ist…«
      »Nein«, erwiderte Decantor und schielte nach dem weißen Päckchen. »Ich muß hinzufügen, Herr Tichy, daß Sie völlig recht haben. Man kann nicht die Seele eines Menschen herstellen, der lebt. Das wäre unsinnig und paradox. Wer existiert, existiert natürlich nur einmal. Eine Fortsetzung kann man lediglich im Augenblick des Todes schaffen. Übrigens wird das lebende Gehirn, dessen Seele ich erzeuge, ohnehin vernichtet, während ich seine Konstruktion erforsche…«
      »Mann…«, flüsterte ich entsetzt, »Sie haben Ihre Frau getötet?«
      »Ich habe ihr das ewige Leben gegeben«, entgegnete er und richtete sich auf. »Das hat nichts mit der Sache zu tun, die wir besprechen. Wenn Sie so wollen, sind das Dinge, die meine Frau«, er legte die Hand auf das Päckchen, »und mich, die Gerichte und die Polizei angehen. Wir unterhalten uns über etwas völlig anderes.«
      Lange Zeit konnte ich kein Wort hervorbringen. Ich streckte die Hand aus und berührte mit den Fingerkuppen das in dickes Papier eingewickelte Kästchen; es war schwer, als enthielte es Blei.
      »Also gut«, sagte ich. »Sprechen wir von etwas anderem. Nehmen wir einmal an, Sie bekämen von mir das Geld, das Sie verlangen. Sind Sie wirklich so wahnwitzig, zu glauben, daß sich auch nur ein einziger Mensch bereit findet, sich dafür totschlagen zu lassen, daß sein Bewußtsein in alle Ewigkeit unvorstellbare Qualen erleidet – beraubt selbst der Gnade des Selbstmordes?«
      »Was den Tod betrifft, so könnte es tatsächlich gewisse Schwierigkeiten geben«, räumte Decantor nach einer Weile ein. Ich bemerkte, daß sein dunkles Auge nicht hellbraun, sondern eher nußbraun zu nennen war. »Dennoch kann man schon zu Beginn mit solchen Menschen rechnen, wie unheilbar Kranken, Lebensmüden, gebrechlichen Greisen, die jedoch noch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind…«
      »Der Tod ist nicht der schlimmste Ausweg angesichts der Unsterblichkeit, die Sie vorschlagen«, murmelte ich.
      Decantor lächelte zum zweitenmal.
      »Ich möchte etwas sagen, was Ihnen vielleicht amüsant vorkommen wird«, erwiderte er. Seine rechte Gesichtshälfte blieb ernst. »Ich selbst habe nie das Bedürfnis verspürt, eine Seele zu besitzen oder ewig zu existieren. Die Menschheit jedoch träumt seit Tausenden von Jahren diesen Traum. Ich habe lange Studien geschrieben, Herr Tichy. Alle Religionen lebten immer nur dadurch, daß sie ewiges Leben versprachen, daß sie die Hoffnung spendeten, man könne das Grab überdauern. Genau das biete ich, Herr Tichy. Ich biete das ewige Leben. Die Gewißheit der Exis tenz, wenn das letzte Stückchen Körper verfault und zu Staub zerfallen ist. Ist das wenig?«
      »Ja«, entgegnete ich. »Das ist wenig. Sie sagen ja selbst, daß das eine Unsterblichkeit ohne Leib, ohne seine Kraft, ohne seine Freuden und Empfindungen sein wird…«
      »Sie wiederholen sich«, unterbrach er mich. »Ich kann Ihnen die heiligen Schriften sämtlicher Religionen bringen, die Werke der Philosophen, die Lieder der Dichter, theologische Summen, Gebete und Legenden – ich habe darin nicht ein Wort über die Ewigkeit des Körpers gefunden. Den Leib behandeln sie alle mit Geringschätzung, sie verachten ihn sogar. Die Seele – ihr Dauern im Endlosen – war das Ziel und die Hoffnung. Die Seele als Gegensatz und als Gegenüberstellung zum Körper. Als Freiheit von physischen Leiden, von plötzlichen Gefahren, von Krankheiten, Altersgebrechen, als Freiheit vom Kampf um das alles, was dieser allmählich verfallende Ofen, genannt der Organismus, in seinem langsamen Glimmen und Verbrennen erfordert; niemand hat bisher die Unsterblichkeit des Körpers verkündet – solange die Welt existiert. Nur die Seele sollte befreit und gerettet werden. Ich, Decantor, habe sie errettet, für die Ewigkeit, bis in alle Ewigkeit. Ich habe Träume erfüllt – nicht meine. Die Träume der gesamten

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